Judenverfolgung auch hier bei uns: Es ging um physische Vernichtung!

Grevenbroich · Mit der Schändung der Synagoge im Novemberpogrom der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 verlor die seit mehreren 100 Jahren in Grevenbroich vertretene jüdische Gemeinde Grevenbroich ihr Gotteshaus.

 Der heut 94-jährige Fred Stern, der als Jugendlicher mit seinen Eltern nach dem Novemberpogrom Anfang 1939 in die USA emigrierte, bewahrt noch heute Fotos auf, die er nach dem Novemberpogrom gemacht hat, um in der neuen Welt eine Erinnerung an seine Großeltern Lazarus und Julie Goldstein zu haben. Die Goldsteins waren die letzten Grevenbroicher, die im Sommer 1942 hochbetagt nach Theresienstadt deportiert und wenige Wochen später in Treblinka ermordet wurden.

Der heut 94-jährige Fred Stern, der als Jugendlicher mit seinen Eltern nach dem Novemberpogrom Anfang 1939 in die USA emigrierte, bewahrt noch heute Fotos auf, die er nach dem Novemberpogrom gemacht hat, um in der neuen Welt eine Erinnerung an seine Großeltern Lazarus und Julie Goldstein zu haben. Die Goldsteins waren die letzten Grevenbroicher, die im Sommer 1942 hochbetagt nach Theresienstadt deportiert und wenige Wochen später in Treblinka ermordet wurden.

Ulrich Herlitz vom Arbeitskreis Judentum im Geschichtsverein hat zu den Ereignissen dieses Novemberpogroms recherchiert.

Seit 1858 war Grevenbroich Sitz des gleichnamigen Synagogenbezirks, der mit dem heutigen Stadtgebiet fast identisch ist. Mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung war die Gemeinde allerdings schon vor der „Reichskristallnacht“ gefährdet. Die Repräsentanten der jüdischen Gemeinde – Lazarus Goldstein und Alexander Löwenstein – waren bis Ende 1936 gewählt, doch nach dem Wegzug vieler Gemeindemitglieder in den vermeintlichen Schutz benachbarter Großstädte war die Gemeinde geschwächt. Neue Repräsentanten wurden – auch nach der Emigration Alexander Löwensteins – nicht gewählt.

Im Frühsommer 1938 erkannten die nationalsozialistischen Machthaber den jüdischen Gemeinden den privilegierten Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts ab und zwangen sie, sich als privatrechtliche Vereine zu konstituieren. Doch mit der reichsweiten Schändung der Synagogen in der „Reichskristallnacht“ kam schließlich auch das endgültige Aus für die Grevenbroicher Synagogengemeinde.

Obwohl die Benzinfässer schon herbeigeschafft waren, wurde sie auf Intervention einer Nachbarin nicht in Brand gesetzt. Nicht aus Respekt vor dem Gotteshaus, sondern im Sorge um die Inbrandsetzung des Fachwerks ihres eigenen Hauses.

Dennoch wurde die Synagoge geschändet und die Thorarollen und liturgisches Gerät auf die Straße geschmissen. Am Folgetag zog der St. Martinszug, der eigentlich an die christliche Nächstenliebe erinnerte, durch die Kölnerstraße über die noch auf der Straße liegenden geschändeten Synagogengegenstände.

Übrigens schon zum wiederholten Mal wurde die Synagoge geschändet, wie Ulrich Herlitz herausgefunden hat. Denn schon einmal vor dem reichsweiten Pogrom – bereits vor dem Oktober 1936 – wurde die Synagoge heimgesucht, die Thorarollen geschändet und in die Erft geschmissen. Sie sind dann nach traditionellem Ritus auf dem jüdischen Friedhof in Grevenbroich beigesetzt worden.

Zwei Ersatztorarollen hatte die damalige Gemeinde bereits in Darmstadt erfolgreich angefragt, erhielt sie jedoch letztlich aus einer benachbarten Synagoge.

In der Pogromnacht wurden neben der Synagoge auch die jüdischen Nachbarn heimgesucht, ihre Wohnungen demoliert und sie selbst misshandelt. Die wenigen noch vorhandenen Geschäfte von Max Hirtz am Steinweg, Philipp Kaufmann und Rosa Eichengrün an der Bahnstraße wurden völlig verwüstet.

Noch in der Nacht setzte eine Verhaftungswelle ein und die männlichen Familienvorstände wurden in das KZ Dachau verbracht, aus dem sie erst Wochen später schikaniert, misshandelt und eingeschüchtert zurückkehrten. Oft durften die Männer erst zurückkehren, wenn sie ihre Emigration betrieben.

So auch die Familie des heute noch in Amerika lebenden 94-jährigen Fritz – heute Fred – Stern, der als Jugendlicher mit seinen Eltern dann im März 1939 in die USA emigrierte.

Die Zerstörungen und Demütigungen in der „Reichskristallnacht“ versetzten der jüdischen Gemeinde einen Todesstoß. Moritz Hertz, der sich bis zuletzt um die Synagoge gekümmert hatte, soll die geschändete Synagoge besichtigt haben, nach Hause gegangen sein und die Wohnung nicht mehr verlassen haben. Am 20. November 1938 verstarb Moritz Hertz in seiner Wohnung und wurde auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt. – Die in Auflösung begriffene Gemeinde musste das Grundstück im Februar 1939 an die Stadt Grevenbroich verkaufen, welche die Baulichkeiten noch fast ein Jahr stehen ließen. Erst zum Jahresende 1939 wurde die Ruine niedergelegt und propagandistisch mit der Überschrift „Ein Schutthaufen verschwindet“ eine neue Verbindungsstraße zu Südwall und Schloss angekündigt wurde.

Mit Spruchbändern über die „Schönheit“ des neuen Platzes in der Altstadt Grevenbroich und Presseberichten verhöhnte man noch die wenigen hier verbliebenen Grevenbroicher Juden und benannte die Straße Anfang 1940 in „vom-Rath-Straße“ nach dem Opfer des Attentates, das Anlass für die Inszenierung der „Reichskristallnacht“ war.

Unfreiwillig, so Ulrich Herlitz, erinnerte die Synagogenruine so alle Grevenbroicher an die Schändung und Niederlegung eines Gotteshauses. Und es war spätestens seit diesem Pogrom klar, dass es auch um physische Vernichtung ging.

Die weitere Verfolgung der Juden bis hin zu ihrer Vernichtung nahm weiterhin ihren Lauf: Keine zwei Jahre sollte es dauern, bis die Deportationen in die Ghettos und KZs begannen. Seit vielen Jahren forscht Ulrich Herlitz vom „Arbeitskreis Judentum“ im Geschichtsverein zu Schicksalen und Biografien der auf dem heutigen Stadtgebiet geborenen Opfer des Holocaust. Über 200 Namen hat er so dem Vergessen entreißen können.

Doch auch die letzten Spuren jüdischen Lebens sollten ausgelöscht werden. 1942 musste die „Reichsvereinigung der Juden“, nur noch verlängerter Arm der Gestapo, die Grabsteine des jüdischen Friedhofs in Grevenbroich verkaufen. Steinmetz Michael Geuer kaufte die Steine auf, widersetzte sich allerdings dem Drängen der Nationalsozialisten, die Steine abzutragen und dem Friedhof einzuebnen.

Der Name „Synagogenplatz“ erinnert heute zusammen mit einer 1978 errichteten Gedenkplatte an die ehemalige Synagoge. Wie schwer sich unser Gemeinwesen mit der Erinnerung tut, zeigt, das diese Plakette mehrfach ihren Standort wechselte und es keinen Erinnerungsort für die aus Grevenbroich stammenden Holocaustopfer gibt, die oftmals nicht ihren letzten Wohnort in Grevenbroich hatten und für die damit keine Stolpersteine verlegt werden können. Hier, so Ulrich Herlitz abschließend, gibt es noch Handlungsbedarf.

(Kurier-Verlag)
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