Warum der Bundestagskandidat gerade die SPD nicht für koalitionsfähig hält Verkehrte Welt? Linken-Sperling fordert Sozialsystem aus Kohls Zeiten zurück

Grevenbroich · Als Anwalt kennt Roland Sperling die Sorgen derjenigen, die von der Gesellschaft abgehängt wurden. Einer von vielen Gründen, weshalb er sich politisch engagiert. Für die Partei "Die Linke" stellt sich der Neusser am 24. September zur Wahl.

 Roland Sperling von den Linken kandidiert für den Bundestag und lässt beim Erft-Kurier-Interview kein gutes Haar an seinen Mitstreitern.

Roland Sperling von den Linken kandidiert für den Bundestag und lässt beim Erft-Kurier-Interview kein gutes Haar an seinen Mitstreitern.

Foto: Foto: Thomas Broich

Chancen in den Bundestag einzuziehen hat er kaum, dennoch will er seine Partei nach vorne bringen. Unter anderem, weil die SPD keinen guten Job mache.

"Die Sozialdemokraten halte ich für nicht koalitionsfähig", sagt Sperling. Harte Worte, die wohlüberlegt wirken. Auf die Frage, was bei der SPD schief laufe, zählt der Linke eine ganze Liste von Argumenten auf. "Kandidat Daniel Rinkert spricht sich zurecht gegen die Erhöhung der Rüstungsausgaben ein. Geplant ist die Aufstockung von 35 Milliarden auf 70 Milliarden Euro. Sein Parteivorsitzender Martin Schulz befürwortet aber genau das", so Sperling. Und dann sei da die fehlende Konsequenz bezüglich der Abschaffung von sachgrundlosen befristeten Verträgen. "Da waren die Sozialdemokraten mit uns auf einer Linie. Als wir dann einen entsprechenden Antrag im Bundestag auf den Weg brachten, zog die SPD dann doch zurück — für den Koalitionsfrieden. Da sollten die Rechte der Arbeitnehmer doch Vorrang haben", zischt der Jurist.

Auch wenn es um sozialen Wohnraum gehe, komme von den Sozialdemokraten zu wenig. "Es ist kein Wunder, dass sie bei 20 Prozentpunkten dümpeln. Die Partei macht Versprechungen, die sie nicht einhält und wirkt daher unglaubwürdig. Das bekomme ich an den Infoständen häufiger denn je zu hören", lautet Sperlings vernichtendes Urteil. Kein gutes Haar lässt er auch an der CDU — "aber die vertritt zumindest offensiv das, was die SPD falsch macht." Mit anderen Worten: Sie steht zu ihren Entscheidungen.

Den Erfolg der Christdemokraten, erklärt sich Sperling durch die Kontinuität, mit der Kanzlerin Angela Merkel wirbt. "Viele hoffen darauf, dass sie das Land mit ihrer ruhigen Art durch die Herausforderungen der Gegenwart steuert. Es ist aber nicht darauf zu hoffen, dass sie das Leben jener rettet, die schwach gestellt sind", stellt der Linke fest.

Denn eine sehr große Gruppe im Land sei wirtschaftlich "nicht so toll" aufgestellt. "40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung verdient weniger als vor 20 Jahren. Das sind keine Zahlen, die ich mir ausdenke, sie kommen von einem Gutachten des ,Deutschen Wirtschaftsinstitutes'. Es gibt eine immer deutlichere Teilung der Gesellschaft", sagt Sperling. Deshalb fordert die "Linke" ein bedingungsloses Grundeinkommen und eine Arbeitslosengrundsicherung von mindestens 1.050 Euro. Das seien gerade mal 60 Prozent des Durchschnittseinkommens und damit voll vertretbar. Zusätzlich soll das Rentenniveau auf 53 Prozent erhöht werden.

"Wer meint, dass sei sozialistisch, sollte nachrecherchieren. Das gab es zu Helmut Kohls Zeiten auch schon. Wir wollen den Sozialstaat nur wiederherstellen", argumentiert der Linke. Ohnehin steige das Bruttosozialprodukt jedes Jahr weiter an, da könne man sich mehr soziale Ausgaben leisten, mahnt der Bundestagskandidat. "Ein Prozent der Bevölkerung besitzt 37 Prozent des Vermögens, demgegenüber stehen dreieinhalb Millionen Kinder, die nicht einmal für eine Woche in den Urlaub fahren können, weil die Eltern finanziell schlecht da stehen", merkt Sperling an, betont, dass die Kinderarmut in Neuss bei 20 Prozent liege.

Deswegen fordert die "Linke" eine Vermögenssteuer von fünf Prozent — eine "bescheidene" Zahl, die 80 Milliarden Euro ergäbe. Auch zum Thema militärischer Einsätze bekennt der Linke klare Kante, fordert den Abzug der Bundeswehr aus Kriegsgebieten "Das hat die Taliban doch nur gestärkt. Die Terrorgefahr in Europa ist so hoch wie nie", sagt Sperling. Sorgen mache er sich deswegen schon, besonders weil seine Frau und Tochter nur knapp solchen Anschlägen entkommen sind: Einmal am Moskauer Flughafen, als dort ein Bombenanschlag verübt wurde und die Beiden eigentlich an diesem Tag dort abreisen wollten. Ein anderes Mal, als ein Passagierflugzeug offensichtlich willkürlich gekidnappt wurde und seine Familie nur eine Maschine früher genommen hatte. Wichtig sei es daher, Behörden zu stärken und den Stellenabbau bei der Polizei zu stoppen und rückgängig zu machen. Und all diese Vorhaben seien nur mithilfe der Wähler möglich. Sperling hofft deshalb, dass die "Linke" drittstärkste Kraft im Bundestag wird.

Violetta Buciak

(Kurier-Verlag)
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