Ein Dorf erhebt sich Muss erst etwas passieren, damit es ein Tempolimit gibt?

Aldenhoven · Bereits dreimal wurden bei Familie Gockel an der Schlossstraße die Hausecke und Mauer schon abgefahren, bei Familie von Matuschka war es der Außenspiegel. Das Sprichwort "Aller guten Dinge sind drei" scheint hier für die Kreisverwaltung bedeutungslos.

 Verena Gockel (links) und Marie-Luise Gräfin von Matuschka setzen sich für ein sicheres Aldenhoven ein.

Verena Gockel (links) und Marie-Luise Gräfin von Matuschka setzen sich für ein sicheres Aldenhoven ein.

Foto: Foto: Alina Gries

Denn ihren Messungen zufolge werde die Straße mit 2.000 Fahrzeugen täglich und 95 Fahrzeugen des Güterverkehrs, trotz Lkw-Verbot, unterdurchschnittlich befahren.

"Ich wohne in der Kurve", erzählt Verena Gockel, "wenn sich ein Bus und ein Traktor an der Straße treffen, geht gar nichts mehr. Das ist dann ein einziges Hupkonzert und wir haben Kino." Eine der traurigen Situationen, die sich derzeit in der kleinen Ortschaft abspielen. Zu schmal ist die Straße, zu sind ungeduldig die Raser, zu unübersichtlich ist Aldenhoven.

"Es war immer so laut an der Straße. Da habe ich angefangen, die Autos zu zählen", erzählt Gockel weiter. Innerhalb von etwa zwei Stunden seien das knapp 500 Fahrzeuge gewesen. "Bis auf vier Haushalte konnte ich dann Unterschriften für ein Tempolimit in Aldenhoven sammeln", erzählt sie und erhielt auch die Zusage von Bürgermeister Harald Zillikens, sie bei der Umsetzung einer Geschwindigkeitsbegrenzung zu unterstützen zu.

Bei einer Messung der Gemeinde dann das erschreckende Ergebnis: Der Schnellste raste mit 93 Kilometern pro Stunde durch die Ortschaft. Der Durchschnitt lag bei 52. "Aber das ist ja auch zu schnell für Aldenhoven", protestiert Gockel und Marie-Louise Gräfin von Matuschka ergänzt, "die donnern hier direkt rein und das, obwohl es sofort in den Kurvenbereich geht und durch die parkenden Autos einspurig wird. Nur, weil noch nichts passiert ist, kann es nicht sein, dass wir damit nicht durchkommen."

Mit drei anderen Anwohnern, unter anderem auch SPD-Fraktionsvorsitzender Holger Witting, haben sich Gockel und Matuschka zu einer Initiative "Tempo 30" zusammengeschlossen. Der Dorfcharakter solle schließlich erhalten bleiben. So könnten weder Schulkinder auf der Straße spielen noch Senioren oder die Anwohner des Behindertenheims spazieren gehen. Das läge auch an den schmalen Gehwegen. "Wenn ein Auto kommt, muss ich mich gegen die Hauswand drücken", erzählt Matuschka. So messen die Fußgängerwege teilweise nur 40 Zentimeter — zu schmal, um mit einem Rollator dort entlang zu laufen. Für die Kreisverwaltung aber kein Grund, auf die Proteste der Anwohner zu reagieren. "Uns wurde mitgeteilt, dass die Kreisstraße sogar unterdurchschnittlich befahren werde", liest Matuschka aus einem Schreiben vor, "obwohl wir ein Behindertenheim haben, geht das nur unter bestimmten gesetzlichen Bedingungen."

Auf Anfrage der Redaktion gibt das Straßenverkehrsamt des Rhein-Kreises an: "Auch wenn wir als Straßenverkehrsbehörde Verständnis haben für die Wünsche der Anlieger, müssen wir die gesetzlichen Vorgaben und die Fakten (Verkehrszählung, Geschwindigkeitsmessungen) berücksichtigen." Und weiter: "Bei der Ortsdurchfahrt Aldenhoven handelt es sich um eine Kreisstraße (K25) mit überörtlicher Verkehrsbedeutung, die in erster Linie dem zwischenörtlichen Verkehr dient. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung steht auf klassifizierten Straßen (Kreis-, Landes-; Bundesstraßen) in der Regel deren besondere Verkehrsfunktion entgegen. Die im Straßen- und Wegegesetz (StrWG) NRW definierte Zweckbestimmung spricht daher grundsätzlich gegen die Einbeziehung von klassifizierten Straßen in eine Tempo 30-Zone." So dürften Geschwindigkeitsbeschränkungen gesetzlich nur dort angeordnet werden, wo sie unumgänglich seien. Hierbei seien Beschränkungen nur bei einer, das allgemeine Risiko erheblich überschreitenden, Gefahrenlage möglich oder wenn der Kraftfahrer, selbst bei ausreichender Aufmerksamkeit, nicht erkennen könne, dass eine bestimmte Strecke oder Stelle nur mit verminderter Geschwindigkeit befahren werden dürfe. "[...] Auf Grund des alternierenden Parkens und der dadurch verursachten Enge der Ortsdurchfahrt sind hohe Geschwindigkeiten auch kaum möglich", so das Straßenverkehrsamt weiter. Parkende Fahrzeuge könnten zwar den Verkehrsfluss stören, ein Haltverbot würde sich aber ebenfalls negativ auf den Parkraum auswirken. Zudem sei sich das Straßenverkehrsamt sicher, dass es dadurch ebenfalls zu einer Erhöhung der Geschwindigkeit kommen könne. In Hemmerden gebe es jedoch auch ein "Tempo 30"-Limit. "Ich frag mich, was da so anders ist", meint sie empört, "mit welchem Maß wird hier gemessen, um ein Tempolimit einzufordern."

Doch auch, da weiß das Straßenverkehrsamt eine Antwort: "Auf die angeführten Geschwindigkeitsbeschränkungen in Hemmerden und Grefrath kann nicht abschließend eingegangen werden, da keine Kenntnis über die entsprechende Entscheidungsgrundlage der jeweiligen Kommune vorliegt und nicht alle Örtlichkeiten miteinander vergleichbar sind", heißt es und weiter, "jedoch wurde die Ortsdurchfahrt Hemmerden von der großen kreisangehörigen Stadt Grevenbroich in Teilabschnitten zu einer Stadtstraße herabgestuft, wodurch die gesetzlichen Anforderungen für verkehrsbeschränkende Maßnahmen im Vergleich zu Kreis-, Landes- und Bundesstraßen deutlich niedriger liegen." Das sei auch für die K25 in Aldenhoven möglich. "Diese Möglichkeit der Herabstufung würde auch für die Ortsdurchfahrt Aldenhoven bestehen. Hierfür müsste jedoch die Gemeinde Jüchen die Kreisstraße 25 vom Rhein-Kreis übernehmen und als Gemeindestraße umwidmen. Die Umwidmung beziehungsweise Herabstufung von Bundes-, Landes- und Kreisstraßen zu Stadt- beziehungsweise Gemeindestraßen könnte jedoch weitreichende finanzielle Folgen für die Anlieger bedeuten", so die Stellungnahme zu der Thematik. Ob über eine solche Herabstufung in der Gemeinde schon einmal diskutiert wurde, teilte die Gemeinde bis Redaktionsschluss nicht mit. Für Matuschka und Gockel sei ein gehwegfreundlicheres Aldenhoven auch schon der Schritt in die richtige Richtung.

"Von Anwohnern aus Gierath hinsichtlich der Situation an der Jüchener- beziehungsweise Bedburdycker Straße wurden wir ebenfalls schon angesprochen", erzählt Matuschka, "wir müssen aber erst einmal für uns selber kämpfen."

"Wir bleiben am Ball", ist Matuschka überzeugt, "und werden das Thema immer wieder aufgreifen." Und auch Holger Witting, SPD-Fraktionsvorsitzender ist überzeugt: "Durch den hartnäckigen und dauerhaften Einsatz der Bürgerinitiative wird sich vielleicht in Zukunft etwas ändern. Wichtig ist dazu, dass alle Beteiligten aus Aldenhoven, Gemeinde und Kreisverwaltung an einen Tisch kommen und hier guten Willen und Kompromissbereitschaft zeigen."

(Kurier-Verlag)
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