Das Top-Kurier Türchen zum 14. Dezember "Herzlich Willkommen in der internationalen Klasse"

Jüchen · Sie kommen aus Rumänien, Afghanistan, Somalia, Irak, Iran, Syrien oder Polen. 16 Kinder aus acht Nationen — und dennoch haben sie eines gemeinsam: Sie bilden die internationale Schulklasse am Gymnasium Jüchen.

"Herzlich Willkommen"
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"Es ist unsere Zoo-Klasse", lacht Lehrerin Ines Thalmann. Dabei sind die Kinder teilweise zwischen elf und 17 Jahre alt. Eine ganz schöne Herausforderung, findet Alina Gries.

Es ist Montagmittag, ich stehe vor einer bunt gemischten Klasse und werde freundlich und neugierig angelächelt. Fragen wie "Wer ist das?" oder "Wie heißt du?" strömen auf mich ein. Deutsch sprechen können schon viele Kinder. "Die Presse ist da", lautet die Antwort und die Kinder werden ganz aufgeregt. Sie sind neugierig auf mich und ich auf sie. Denn es ist die erste internationale Klasse an der Schule. Eine tolle Umsetzung wie ich finde — und darüber möchte ich gerne mehr erfahren.

"Mir gefällt hier alles, aber vor allem der Lehrer", antwortet Feisal ganz verschüchtert, nachdem sein neuer Freund ihm die Frage noch einmal ins Arabische übersetzt hat, "ich gehe gerne zur Schule und möchte besser werden", sagt der 14-Jährige. Und das ist auch der Unterschied, den Lucas Bögger bei seiner Klasse schnell festmacht. "Sie sind motiviert und wollten sogar in den Ferien Unterricht haben", erzählt er ganz begeistert.

Der Geschichts- und Religionslehrer ist plötzlich einer Situation ausgeliefert, in der er sich bisher noch nie befunden hat. "Jeder Tag ist anders und man kann nie das machen, was man geplant hat", berichtet er. Und jedes Kind trägt eine Geschichte mit sich herum. "So ist einer zum Beispiel aus Afghanistan bis hierher zu Fuß gelaufen", erzählt Bögge. Szenen, die wir nicht nachempfinden können. Deshalb sei die Klasse auch oft unruhig — das läge nicht nur daran, dass Montag sei. Doch Bögge hat mittlerweile ein Feingefühl dafür entwickelt, wenn es einem seiner Schützlinge nicht gut geht. "Es ist schon ein Unterschied wenn ich vom Leistungskurs Geschichte hier in die Schulklasse komme", erklärt er.

Jeden Tag haben die Kinder ein bis zwei Stunden Deutsch- und zweimal die Woche Englischunterricht. Denn während es für die heimischen Kinder recht einfach ist, Englisch zu lernen, ist es für die Flüchtlinge eine echte Leistungsanforderung. "Sie haben alle ganz unterschiedliche Vorkenntnisse", sagt Ines Thalmann, "so gibt es auch Kinder, die noch nie eine Schule besucht haben und nicht einmal ihre eigene Sprache schreiben können und das mit 16 Jahren. Und dann müssen sie auf einmal neben Deutsch noch eine Fremdsprache lernen."

Ziel der Lehrer ist es, dass die Kinder eine Regelschulklasse besuchen können. Zwei haben das schon geschafft. Andere wurden wieder abgeschoben und mussten die Klasse verlassen. "Das ist sehr belastend", so Bögge. Und jede Woche kommen neue. "Wir müssen immer wieder von vorne anfangen und können nicht da weitermachen, wo wir aufgehört haben", bemerkt Thalmann, "man erwischt sich selbst wie man plötzlich ganz langsam und deutlich redet. Und man versucht sich mit Händen und Füßen zu verständigen — und egal wie schlecht man vorher gemalt hat, wenn es um die Verständigung geht kann man auf einmal malen wie ein Weltmeister." Zwar hat Thalmann eine Qualifikation absolviert, dass sie Deutsch als Fremdsprache im Ausland unterrichten könne, doch das sei ein großer Unterschied.

"Es war sehr schwierig den Kindern klarzumachen, dass sie täglich pünktlich zur Schule kommen müssen. Dann war ein Kind mal nicht da, weil es mit der Mutter zum Amt musste oder ähnliches", lacht sie, "oder Handys sind für die Kinder der Nadelpunkt der Welt, sodass sie im Unterricht immer Selfies für ,Instagram‘ oder ,facebook‘ gemacht haben." Vier Monate hat es gedauert bis sie es verstanden haben, dass an unserer Schule ein Handyverbot herrscht. Die Lehrerschaft steht vor einer Herausforderung und ist dafür unterbesetzt. "Wir haben uns über die viele Resonanz aus der Oberstufe gefreut", schwärmt Thalmann. Denn die Schüler stellen ihre Freistunden zur Verfügung, um den Flüchtlingskindern zu helfen. Jedes Kind hat dabei einen individuelle Stundenplan und einen eigenen Ordner zum Bearbeiten in den Stunden in denen sie nicht in der internationalen Klasse sitzen.

"Unser Ziel ist es, dass die Kinder erst einmal einen Schulabschluss erhalten", erklärt Lucas Bögge. Zwei Jahre bleiben die Kinder in einem bewertungsfreien Raum, ehe sie gleichermaßen wie alle anderen Kinder bewertet werden und der jeweiligen Schule zugewiesen werden können. Dabei gibt es einige Kinder bei denen sich Bögge sicher ist, dass sie es in die Regelklasse schaffen und somit auf dem Gymnasium bleiben dürfen. "Man ist hier jedoch nicht nur Fachvermittler, sondern auch Begleiter und Erzieher", sagt er.

Zusätzlich sollen die Kinder aber vor allem auch durch Sportvereine integriert werden. "Ich möchte gerne noch besser Deutsch reden können", sagt Lawin. Der 13-Jährige wohnt in Jüchen und sitzt direkt neben seinem Bruder, der fleißig in seinem Arbeitsheft arbeitet. "Er ist sehr ehrgeizig und hat sogar schon vorgearbeitet", freut sich Bögge.

Allgemein hat er Spaß an dieser Herausforderung, auch wenn er viele Elemente der Grundschule hier anwenden muss. "Meine Schwester ist Grundschullehrern; mit der tausche ich mich jeden zweiten Tag aus", verrät er. So sei es schließlich schwierig, einem Jugendlichen Aufgaben zu geben, die er nicht versteht, die aber auch nicht kindlich gestaltet sind. Dazu wurde neues Schulmaterial angeschafft. Aber auch so freut er sich immer wieder auf seine Arbeit. "Als ich Geburtstag hatte, haben die Kinder für mich ,Happy Birthday‘ in einem Halbenglisch gesprochen oder einmal war ich aus gesundheitlichen Gründen nicht da und als ich wiederkam hieß es, man habe mich vermisst".

Um seine Kinder noch besser verstehen zu können, hat Bögge sogar schon darüber nachgedacht einen Arabisch-Sprachkurs zu belegen. "Ich denke, es wäre gut zu können, auch wenn ich schon viel Wert darauf lege, dass hier durchgehend Deutsch gesprochen wird", so der Geschichts- und Religionslehrer.

Als ich Fotos von der Klasse mache, machen sie das "Peace-Zeichen", wie die Jungs damals zu meiner Schulzeit. Es sind eben auch nur Kinder und Frieden wünschen wir uns schließlich alle. Als ich dann ganz leise den Raum verlasse, winken mir die Kids zu und rufen auf Wiedersehen, auch in ihrer Sprache. Sie sind angekommen und Lucas Bögge ist auch angekommen bei den Kids.

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