Das Top-Kurier Türchen zum 17. Dezember Eine Zeitreise durch die Räume der Fabrikantenvilla

Jüchen · Wir schreiben das Jahr 1936. Anita Lindgens, heute Rente, ist die Tochter eines wohlhabenden Fabrikanten: Herbert Lindgens. Ihr Großvater, Max Lindgens, zog aus Hannover in das idyllische Jüchen, weil er seiner Ehefrau zur Hochzeit das schönste Haus bauen wollte, das je jemand zu Gesicht bekam.

Die Fabrikantenvilla..
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Die Fabrikanten-Villa an der Steinstraße war das erste Haus im Patrizierstil. Früher erstrahlte die Fabrikanten-Villa noch in einem grauen oder braunen Ton. Heute haben die neuen Eigentümer das Haus gelb gestrichen.

"Wir waren normal wie die anderen Kinder auch", erzählt Anita Rente, "dennoch wurden wir von oben herab behandelt. Fabrikantenkinder trugen Elefantenschuhe aus Leder, die übrigen Holzklötzchen." Es war verboten mit den Kindern zu spielen. "Wenn unser Vater nicht hinschaute, dann haben wir uns herausgeschlichen und mit den anderen Kindern gespielt", erinnert sich die 80-Jährige.

21 Räume zählt die Fabrikanten-Villa. Die obere Etage gehörte dem Hauspersonal und die erste der Großmutter. "Es gab einen kleinen Salon, der immer mysteriös zugedeckt war, damit nichts verstaubte", so Rente, "wenn geputzt wurde, haben wir uns immer hineingeschlichen." Eine Schiebetüre erweiterte den Salon zu einem Esszimmer. Und in jedem Zimmer gab es einen Kachelofen.

Der Garten sei riesig gewesen. "Wir hatten einen Zier-, Blumen-, Obst- und Gemüsegarten", beschreibt Rente die Wohnsituation. Von dort aus hatte man eine schöne Aussicht auf "Haus Katz". "Früher war das Katzenhaus noch von einem Nach umgeben und wurde Wasserschloss genannt", berichtet die Jüchenerin, "das Wasser wurde durch unseren Garten geleitet."

Und auch einen Geheimgang gab es zu so einem imposanten Haus. "Mein Großvater hatte dort Goldmark versteckt", erzählt Rente, "als die Reichsmark eingeführt wurde, durfte man das alte Geld nicht behalten und angeblich hatte er es an der Kellertreppe, bevor es die Treppe herunter geht, unter einem Podest versteckt." Doch das Versteck wurde nie gefunden. Vielleicht war es Absicht oder auch nur ein Mythos.

Die Fabrik "Lindgens und Gerresheim", befand sich direkt gegenüber von der Fabrikanten-Villa. "Es war ein rotes Gebäude", erinnert sich die 80-Jährige, "wir durften nie hinein, außer, wenn unser Vater zu spät zum Essen gekommen ist." Die Fabrik stellte Uniformen in Blau oder Grün her, mit Goldknöpfen. Es war sehr zentral gelegen, rings umher gab es viele Webereien oder Textilfabriken.

"Sonntags gab es immer einen Aufmarsch", so Rente, "wir standen auf dem Balkon zur Straße und haben zugesehen, wie die Offiziere mit ihren Bärten und Degen ernst auf- und abmarschierten. Da musste ich immer lachen."

Jeden Samstag gab es einen Markt, bei dem immer eingekauft wurde. "Und jedes Geschäft verkaufte nur eine Sache", meint sie, "ein Laden verkaufte Käse, der andere Wurst und so weiter." Und an den Marktplatz erinnert sie sich auch noch sehr gut. "Er war ähnlich wie heute gepflastert. Der Brunnen war sehr schön verziert und es gingen acht Strahler davon ab, aus denen das Wasser herauskam."

Die Grundschule war direkt in der Nähe. "Wenn Bomben-Alarm war, hatten wir es nicht weit nach Hause", sagt sie, "wir versteckten uns dann im Gewölbekeller, der sonst als Weinkeller diente."

Nach der Grundschule besuchte sie neun Jahre lang eine Schule in Mönchengladbach bei Nonnen. "Ich hatte keine Zeit für Freunde, der Tagesplan war eng getaktet. Aber ich durfte Tennis spielen", sagt sie. Und dort verliebte sie sich in ihren Tennislehrer — später auch ihren Ehemann. Doch ehe sie nach Rheydt zog wurde sie in der Fabrik ihres Vaters eingesetzt, um die Abrechnungen zu machen. "Das war keine schöne Zeit", sagt Rente, "ich wollte so gerne Apothekerin oder Fotografin werden. Aber das durfte ich nicht."

Heute lebt die 80-Jährige im Seniorenheim in Mönchengladbach. Als die neuen Eigentümer vor etwa 30 Jahren in die Fabrikanten-Villa einzogen, kam sie noch einmal zu Besuch. "Es sieht ganz anders aus, ich möchte es so in Erinnerung behalten wie es damals war", sagt Anita Rente

Marie-Jeanne Chargé-Kröll wohnt nun in dieser imposanten Villa. Sie ist damals aus Paris hergekommen. Die Umgebung und die Räumlichkeiten haben sich verändert. So gibt sie an, dass es nun noch etwa vier Zimmer pro Etage gebe — zwei Stockwerke gibt es insgesamt in dem Haus.

"Mein Ehemann und ich sind von Düsseldorf hierher gezogen, damit unsere Kinder ländlich aufwachsen", erzählt sie, "uns hat das Haus direkt gefallen und es stand leer." Der Blick aus dem Esszimmer-Fenster fällt immer noch auf den Garten und auf "Haus Katz".

Heute kann Chargé-Kröll direkt von dort aus in den Garten gelangen. "Es gab einen Baum, der so gewachsen war, dass es unter ihm wie eine kleine Grotte gewesen ist und ein Versteck für die Kinder", erinnert sie sich.

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