Lernen von den Hauptschülern: Trauma vs. „Luxusprobleme“

Grevenbroich · „Wir haben gemerkt, dass wir hier richtig gut leben. Es ist unvorstellbar, was dort in Syrien abgeht. Und das ist gar nicht so weit weg von uns.“ Chantal Lalk, Sprecherin der Klasse 10 a P der Katholischen Hauptschule, bringt ihre Betroffenheit und die ihrer Mitschüler auf den Punkt: Das Schicksal der Flüchtlinge, die es nach Grevenbroich verschlagen hat, war in den vergangenen Wochen Thema im Unterricht.

Noch bis zum 1. August leben 20 dieser Flüchtlinge in direkter Nachbarschaft zur Hauptschule. Danach wird das Haus abgerissen, die neue Mensa wird gebaut.

Diese Nähe nutzte die Klasse 10 a P (= Praktikum; einen Tag in der Woche verbringen die Schüler als Praktikanten in heimischen Betrieben), um zwei Syrer in ihre Klasse einzuladen. Zuvor hatten sie sich in Gruppenarbeiten mit der Situation der Flüchtlinge in der Welt, in Europa, in Deutschland und in Grevenbroich auseinandergesetzt.

„Wir haben Kuchen gebacken“, erzählen die Schüler und wollen damit deutlich machen, dass „Willkommenskultur“ schon bei kleinen Zeichen beginnt. Es sollte halt eine „freundlich nette Atmosphäre“ sein. „Die beiden Syrer, ein Arzt und ein Ingenieur, haben uns ihre Geschichte erzählt“, berichtet Angelina.

Der Ingenieur habe ein gutes Leben gehabt – ein 500.000-Euro-Haus, mehrere Autos, einen Fahrer. „Dann hat eine Bombe alles zerstört.“ Zusammen mit seiner Familie kam er in mehrere Unterkünfte, wurde permanent ausgebombt, kam über die Türkei nach Deutschland („... weil wir denken, dass die Deutschen immer noch wissen, was es bedeutet, auf der Flucht zu sein ...“) und konnte am Ende auch noch seine Familie nachholen.

Dem Arzt gelang die Flucht über Ägypten, wo er einst auch studiert hatte. Seine Familie ist noch in Syrien, steht noch in permanenter Lebensgefahr. Und er berichtete von Fällen, in denen Flüchtlinge gezwungen wurden in die Heimat zurückzukehren, indem das dortige Regime Frau und Kinder bedrohte.

„Wir haben uns gar nicht getraut, genauer nachzufragen, weil wir die Betroffenheit gespürt haben“, merkt Klassenlehrerin Ute Conen an. Der Arzt habe vor Trauma und Tränen oft nicht mehr sprechen können. Chantal Lalk resümiert ehrlich: „Wir haben festgestellt, dass wir hier doch sehr viele Luxus-Probleme haben.“ Und Mitschülerin Kira fügt an: „Was die durchgemacht haben, ist schon echt krass.“ Sie dankt den Flüchtlingen, dass sie bereit waren in die Schule zu kommen und über ihr Schicksal zu erzählen.

Beide Syrer machten übrigens deutlich, dass sie sobald wie möglich in ihre Heimat zurückkehren wollen, um sich dort – wenn Frieden eingekehrt ist – am Wiederaufbau zu beteiligen. Und beide lobten und bedankten sich für die Betreuung durch die Stadt.

Deren Vertreter (Hartmut Deußen als Fachdienstleiter „Soziale Dienste“ und Hannah Wienands) waren auch in die Schule gekommen und hatten von ihrer Arbeit berichtet.

Allerdings haben die Schüler eine klare Meinung zu den Plänen eines zentrales Flüchtlingsheimes am Bahnhof: „Das macht doch keinen Sinn“, ereifert sich zum Beispiel Tobi: „Wenn die alle Flüchtlinge in ein Haus am Bahnhof stecken, dann wissen doch alle, wo die leben. Und die Gefahr von Übergriffen wird größer.“

Außerdem müssten dann all die unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Nationen unter einem Dach leben ...

(Kurier-Verlag)
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