Wenn kleine Leute Geschichte schreiben: Alte Dorf-Chronik wurde „entstaubt“!

Nettesheim · Wenn die Reichen und Mächtigen ihre "Geschichte" aufschreiben lassen, dann geht es um Schlachten und Nationen, um Diplomatie und Völkerbünde. Dinge, die der sprichwörtliche "kleine Mann" zumeist ertragen muss, die in seiner "Geschichte" aber nicht die Hauptrolle spielen.

 Auf Wunsch seines Lehrers Hoffmann begann Theodor Hilgers eine Chronik der Gemeinde Nettesheim zu schreiben. Manuela Wirtz und Theo Huppertz stellen sie nun vor.

Auf Wunsch seines Lehrers Hoffmann begann Theodor Hilgers eine Chronik der Gemeinde Nettesheim zu schreiben. Manuela Wirtz und Theo Huppertz stellen sie nun vor.

Foto: Fotos: -gpm.

Bei ihm geht es um das pralle Leben im Dorf, in der Region. Um die meist schweren Schicksale in der näheren oder weiteren Familie. Ein prägnantes Beispiel hat jetzt der "Geschichtskreis Rommerskirchen" unter der Führung von Klaus Erdmann zugänglich gemacht und entstaubt.

Es geht um die Dorf-Chronik von Nettesheim/Butzheim, die Theodor Hilgers, Veteran des deutsch-französischen Krieges 1870/71, in ganz eigener Art niedergeschrieben hat. "Das war ein kleiner Mann, ein Tagelöhner, der zufällig schreiben konnte", macht Erdmann deutlich.

Die fünf Bände (zuzüglich einem Band über die "Schützenlust Butzheim", die später von der kirchlich orientierten Bruderschaft einverleibt wurde) gingen zunächst an seinen jüngsten Sohn Peter und dann an Enkel Theo Huppertz, der sie wie einen richtigen Schatz hütete. Nur Heimatforscher ließ er in die Bände sehen, bis dann im Geschichtskreis die Idee aufkam, das in Sütterlin geschriebene Werk in allgemein lesbare Form zu übertragen. "Unser harter Kern kann Sütterlin lesen", erzählt Erdmann. Dazu zählen Detlef Bolz und Willi Hahn. Hilfe kam aber mit Petra Schmitz auch aus Meerbusch und mit Klaus Hoppner aus Köln. Sie alle zusammen "transkribierten" die Aufzeichnungen von 1821 bis 1943.

Oft setzt sich Theodor Hilgers kritisch mit Politik und Politikern im Ort und in der Umgebung auseinander. So weist er ganz detailliert nach, dass ein Bürgermeister "überbezahlt" war und viel zu viel kassierte. Dieser Rathaus-Chef sei halt sehr gebildet und könne den Rat leicht austricksen, argwöhnte Hilgers.

"Die Ereignisse der Reichspogromnacht hat er aber sehr kommentarlos niedergeschrieben", stellt Erdmann fest. Und er fügt an: "... auch der zweite Weltkrieg, der kam auch einfach so."

Da beschäftigt Hilgers eher die Tatsache, dass ein Militärfahrzeug zwei Jungen aus dem Dorf überfahren und getötet hat. Und dass ein engagierter Sozialdemokrat innerhalb eines Jahres zu einem begeisterten NSDAP-Mitglied mutierte. Noch viel bedeutender erschienen Hilgers ein schweres Bergbau-Unglück, bei dem auch viele junge Männer der Region und des Ortes verletzt oder gar getötet wurden. Und der Besuch dreier Patres aus Aachen, die (erotische) Verfehlungen brandmarkten, von denen "man im hohen Alter noch nicht erfahren" hatte, so der Chronist. Wer Details aus der Chronik erfahren möchte: Am 28. März um 19 Uhr lädt der "Geschichtskreis" ins "Carpe Diem" an der Venloer Straße ein und stellt sie vor.

Gerhard Müller

(Kurier-Verlag)
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