Neue Ausstellung in der „Villa Erckens“: Die Opfer haben einen Namen Ulrich Herlitz: „Die Deutschen haben aus ihrer Geschichte gelernt“

Die Ausstellung „Kriegsbeginn 1939“ zeigt in der „Villa Erckens“ anhand von Grevenbroicher Biografien, darunter Soldaten, Zwangsarbeiter oder eben Holocaust-Opfer, wie der Vernichtungskrieg und eine rassisch definierte „Volksgemeinschaft“ sich auf das Leben der Menschen in unserer Stadt auswirkte. Auch zahlreiche bisher nicht erschlossene Fotos, Dokumente und Objekte zahlreicher Leihgeber erlauben eine Annäherung an das Thema.

 Mari und Toni Bruce, Enkelin und Urenkel des in Auschwitz ermordeten Ehepaares Alex und Elfriede Katz. Uhre (Groß-)Mutter Liesel Katz konnte 1938 nach Palästina emigrieren und verstarb nach einer weiteren Station in Südafrika in England. Das Bild ist vor dem Geburtshaus von Liesel Katz aufgenommen worden. Mari und Toni Brucehaben vor wenigen Wochen Grevenbroich besucht und die deutsche Staatsangehörigkeitneben ihrer britischen angenommen.

Mari und Toni Bruce, Enkelin und Urenkel des in Auschwitz ermordeten Ehepaares Alex und Elfriede Katz. Uhre (Groß-)Mutter Liesel Katz konnte 1938 nach Palästina emigrieren und verstarb nach einer weiteren Station in Südafrika in England. Das Bild ist vor dem Geburtshaus von Liesel Katz aufgenommen worden. Mari und Toni Brucehaben vor wenigen Wochen Grevenbroich besucht und die deutsche Staatsangehörigkeitneben ihrer britischen angenommen.

Grevenbroich. Am vergangenen Mittwoch wurde die Ausstellung durch Bürgermeister Klaus Krützen und VHS-Leiter Thomas Wolff eröffnet. Geschichtsvereinsvorsitzendem Ulrich Herlitz führte aus, dass es mittlerweile zahlreiche Holocaust-Überlebende der zweiten und dritten Generation gebe, die heute wieder die deutsche Staatsangehörigkeit anstreben.

So zum Beispiel auch die Nachfahren von Alexander und Elfriede Katz, die im Juni 1942 in Auschwitz ermordet worden sind. Einen größeren Vertrauensbeweis – verbunden mit einer Verantwortung, jedem rechtspopulistischen Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus und Rassismus entschieden entgegen zu treten – gebe es nicht. „Die Deutschen haben aus ihrer Geschichte gelernt“, postulierte Ulrich Herlitz.

Am 1. September 1939 begann der zweite Weltkrieg. Zuvor hatte Hitler seiner Wehrmachts-Generalität seine Pläne der Germanisierung des osteuropäischen Raums dargelegt und sprach von Bevölkerungsverschiebungen zugunsten von „Volksdeutschen“, die die Ostfeldzüge künftig charakterisieren würden. Skrupel seiner Militärs begegnete Hitler mit der Frage, wer denn noch von der Vernichtung der Armenier rede. In dem beginnenden Ostfeldzug ging es um die totale Niederwerfung, Ausbeutung und physische Auslöschung des sogenannten „slawischen Untermenschen“.

Es war von Anfang an ein verbrecherischer Krieg, in der auch die Wehrmacht nicht „sauber“ blieb, wie bis kurz vor der Jahrtausendwende oft noch die vorherrschende Stimmung in Deutschland war. Ursprünglich wurde das Stammlager in Auschwitz – eine ehemalige polnische Kaserne – ab 1940 zunächst zur Entlastung anderer Gefängnisse als Konzentrations- und „Schutzhaftlager“ für Polen errichtet.

Doch schon bald wurde neben der polnischen Intelligenz auch die drei Millionen Juden in Polen in diese zunehmend systematische Vernichtung einbezogen. Am 22. Juni 1941 überfielen deutsche Wehrmachtsverbände ohne Kriegserklärung die Sowjetunion. Erste Deportationen in die Ghettos nach Lodz und Riga betrafen auch die Mehrzahl der Juden aus unserem Stadtgebiet.

Einsatzgruppen gingen dazu über, unterschiedslos jüdische Männer, Frauen und Kinder zu erschießen. Spätestens zum Jahreswechsel 1941/2, als die russische Front zum Stillstand kam und eine Abschiebung der Juden „in den Osten“ nicht mehr realistisch war, fiel dann auch die Entscheidung zum Genozid.

In Auschwitz-Birkenau wurde das ursprünglich für 100.000 russische Kriegsgefangene vorgesehene Lager Stück für Stück in ein Vernichtungslager umfunktioniert. Nicht zufällig fanden die ersten „versuchsweisen“ Vergasungen im Stammlager an russischen Kriegsgefangenen statt.

Ulrich Herlitz, Vorsitzender des Geschichtsvereins, hat 31 Grevenbroicher Juden recherchiert, die alleine in Auschwitz ermordet wurden. Jüngstes Opfer war die gerade einmal vier Jahre alte Recha Katz aus Wevelinghoven, die alleine am 3. November 1943 aus dem Ghetto von Riga nach Auschwitz deportiert wurde, um dort ermordet zu werden.

Unter den Ermordeten waren unter anderen auch Angehörige der Hemmerdener Familien Sachs, Aussen und Winter, die Gindorfer Familie Beretz, die aus Hülchrath stammenden Hirsch-Schwestern, Familienmitglieder Cohnen, Katz, Moser, Frank und Goldstein aus Grevenbroich.

Dabei fing der Holocaust nicht in den Ghettos und Vernichtungslagern wie Auschwitz an. Vielmehr setzten Ausgrenzung, Demütigung, Misshandlung, Verfolgung und Deportationen hier bei uns vor Ort ein, vor den Augen, dem Wegsehen oder oftmals auch mit Beteiligung der Nachbarn.

Zahlreiche Dokumente in der Ausstellung zum Kriegsbeginn 1939 in der „Villa Erckens“ belegen eindrucksvoll, wie es schrittweise dazu kam, dass der Holocaust erst ermöglicht wurde: Fotos, Briefe, Gerüchte von der Front, ja selbst Berichte in Presse, Rundfunk und Wochenschauen von den Kriegsschauplätzen machten auch hier bei uns in der Heimat deutlich: Es ging letztlich um die physische Vernichtung der jüdischen Menschen!

Insgesamt wurden über 200 im heutigen Stadtgebiet Grevenbroichs geborene Jüdinnen und Juden Opfer des Holocaust in Lagern, KZs oder den Vernichtungslagern.

Als Opfer von Menschenversuchen in Auschwitz überlebte die aus Hemmerden stammende Henny Sachs geb. Aussen. Ihr Mann wurde im Stammlager ermordet. Ihre Tante Klara Aussen geb. Winter aus Hemmerden überlebte zwar auch die Menschenversuche, starb jedoch daran im März 1945.

Außerdem überlebte Josef Katz aus Wevelinghoven mit seiner Ehefrau Martha Wolff Theresienstadt, Auschwitz, Buchenwald und andere KZ. Josef Katz verstarb erst im Jahre 2006 in den USA.

Schulbesuche in der Gedenkstätte ehemaliges KZ Auschwitz finden seit nunmehr sechs Jahren von der Diedrich-Uhlhorn-Realschule unter der Leitung von Sebastian Potschka organisiert statt. Seit letztem Jahr sind auch alle weiterführenden Schulen zur Teilnahme eingeladen.

Im Rahmen einer Gedenkstunde an den „Aschewiesen“ der Ermordeten vor Krematorium V in Auschwitz-Birkenau liest Ulrich Herlitz Namen und biographische Daten der Grevenbroicher Auschwitz-Opfer vor. Über 100 Jugendliche nehmen freiwillig und mit einem nicht unerheblichen Eigenanteil in ihren Osterferien.

In der „Villa Erckens“ ist auch eine Wanderausstellung von Yad Vashem zum so genannten „Auschwitzalbum“ zu sehen, in dem 1944 Fotoaufnahmen von einem Deportationszug von der Ankunft, der Selektion bis hin zum letzten Gang vor die Gaskammern abgebildet ist.

Diese Wanderausstellung ist noch bis Ende Januar 2020 in der „Villa Erckens“ zu sehen und wird dann von Februar bis April 2020 in den Grevenbroicher Schulen als Vorbereitung der Gedenkstättenfahrt in das ehemalige KZ Auschwitz gezeigt.

Ulrich Herlitz

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