Erinnerung an Gemeinde: London über seine Kindheit in der „Nüßerhott“

Jüchen · "Die Neußer Straße oder auch ,Nüßerhött' war wie eine Insel ein wenig abgeschottet inmitten von Feldern und Wiesen. Vom Garten aus konnten wir auf die Fabrik ,Schwartz und Kleine' schauen." Und die Webstühle übertönten das Dorf geradezu mit dem eintönigen Rattern.

Erinnerung an Gemeinde:: London über seine Kindheit in der „Nüßerhott“
Foto: Alina Gries

Als Mittlerer von sechs Geschwistern wuchs Günter London in Hausnummer 20 auf. Zum Tanzen mit den Mädchen hat er immer die Bahn nach Hochneukirch genommen. Ein Spaziergang nach Schloss Dyck war immer das Highlight des Jahres für ihn. Und ein Besuch bei den Großeltern in Gierath eine kleine Zeitreise ins Mittelalter. Seine Erinnerung an die Zeit in der Noch-Gemeinde hat der 74-Jährige sogar im Internet festgehalten.

"Abends wurden immer die Stühle raus getragen und alle Nachbarn haben sich zusammengesetzt", lächelt Günter London, "1955 haben wir uns einen Fernseher angeschafft und waren damit einer der Ersten, sodass immer die ganze Nachbarschaft in unserer Bude hing", lacht er. Und doch zog es London immer in die Natur oder zu den Büchern. "Bei meinen Nachbarn habe ich oft die Zeitung geliehen bekommen", erinnert sich der 74-Jährige. In der Natur ging es entweder für 20 Pfennig ins Freibad, zum Klettern auf die Baumgruppen oder in den Abwasserkanal von "Schwartz und Kleine".

Die Haut glänzte mal rot, mal grün

"Mangels natürlicher Bäche fand das Spielen auch oft im Abwasserkanal der Färberei statt. In der Regel war unsere Haut allerlei Blautönen ausgesetzt. Rot und Grün war eher seltener"", lacht Günter London. Und auch in den Baumgruppen ging es gar nicht so ungefährlich zu. Alte Munition des vergangenen Krieges fanden sich dort. "Im vorgelagerten Jüchener Broich hat es in den 50ern einen richtigen Mord gegeben. Ein Ehemann hatte seine Frau gemeuchelt, sodass wir um diese Stätte des Grauen eher einen leichten Bogen machten. Ansonsten war Jüchen eher ein verschlafenes Dörflein", schmunzelt er, "aber nicht so verschlafen wie Gierath und Hochneukirch. Wir hatten ja wenigstens die Bundesstraße."

So ging es zu den Großeltern immer mit Sack und Pack in das abgelegene Gierath. "Da gab es keinen Bus und auch keine richtige Straße." Nur Schotterwege. Fast wie im Mittelalter, wie es London damals empfand. "Nach Hochneukirch sind wir nur zum Tanzen mit den Mädchen gefahren", lacht er wieder, "gekegelt wurde beim ,Hosse Jupp', Bier getrinken beim ,Nölles' oder ,Tusch' und der Twist eingeübt per Musikbox beim ,Kuginow'." In Hochenukirch öffnete zu dieser Zeit auch eine Milchbar.

Krimi über einen Mord auf Schloss Dyck

"Die dortige Damenwelt stand auch auf Twist und Rock 'n Roll - aber auch auf Schmusetänzchen", lacht London, "und wenn mal wieder der Dampfzug verpasst wurde, ging es nachts eben über die Schienen nach Hause." Vorher ging es aber erst noch ins Kino. "Um 15 Uhr war Jugendvorstellung im Kino in Hochneukirch für 60 Pfennig. Danach sind wir über den Feldweg direkt zur 17.30 Uhr Vorstellung ins Kino an der Wilhelmstraße", erzählt er. Ehe London 24 Jahre alt wurde, verließ er Jüchen, um seinen Dienst bei der Bundeswehr anzutreten. Mit seiner Ehefrau Erika lebt er heute in Mönchengladbach.

Unter der Internetseite https://guenterlondon.jimdo.com schreibt der 74-Jährige seine Gedanken zu der Noch-Gemeinde nieder. Auch Bilder können hier noch angeschaut werden. Sogar ein Krimi über einen Mord in Schloss Dyck lässt sich hier finden. Unerwähnt bleibt dabei nicht jene Kastanien-Allee an der London in seiner Kindheit so gerne Kastanien sammelte.

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