Die Top-Kurier Ortsvorstellung: Das sind jetzt unsere STADT-Teile Mürmeln: „Wo die Glocken im Birnbaum hängen und eine Lakritzfabrik war“

Aus einem Einzelgehöft war bis zum 19. Jahrhundert ein Dorf mit 128 Einwohner gewachsen. Noch heute besteht Mürmeln aus einer durchnummerierten Straße – Höfe gibt es am Dorf-Ende nur noch zwei. Bereits 1274 wird das kleine Dorf erwähnt. Der Name leitet sich wohl ursprünglich von „Murmeren“ ab, was so viel bedeutet wie „Siedlung am Moor“. Die „schäumende Kelze“, wie der Nebenfluss des Jüchener Bachs liebevoll unter den Einwohnern genannt wird, fließt bei Stark-Regen noch heute durch die kleine Ortschaft.

 Hiltrud Finken auf einer von Mürmelns Kids selbst gestalteten Bank im Dorfmittelpunkt von Mürmeln.

Hiltrud Finken auf einer von Mürmelns Kids selbst gestalteten Bank im Dorfmittelpunkt von Mürmeln.

Mürmeln. „Wo die Glocken im Birnbaum hängen und eine Lakritzfabrik war“ – so erzählt man sich im Dorfe. „Eine Lakritzfabrik hat es hier aber nie gegeben“, schmunzelt Hiltrud Finken, „die Ziegen und Schafe haben früher Köttelchen hinterlassen, daher kommt die Bezeichnung.“

Und die Glocken im Birnbaum? „Das kommt noch aus der Zeit der Gegenreformration, als die Protestanten sich verstecken mussten und heimlich zum Gottesdienst im Haus Bontenbroich trafen“, so die Mürmelnerin weiter.

Seit 1973 wohnt Hiltrud Finken in dem ländlichen Straßendorf. Die Liebe zu Walter Finken, der unter anderem als stellvertretender Bürgermeister von 1994 bis 1999 und von 2009 bis 2014 in der Gemeinde Jüchen fungierte und sich für die Partnerschaft mit der Gemeinde Leers engagierte, zog die Rheydterin hierher. Als Stadtkind musste sie erst einmal den dörflichen Zusammenhalt lernen. „Hier ist es üblich, dass man dem Nachbarn hilft, aber dass einem auch selbst geholfen wird“, strahlt sie – ein unausgesprochenes Gesetz, das sich auch die Neuhinzugezogenen sehr zu Herzen nehmen.

„Sie bemühen sich die Traditionen im Dorf aufrecht zu erhalten“, freut sie sich.

Zweimal im Jahr ist der Orts-Stolz in Form eines Weihnachts- und Maibaumes in der Ortsmitte zu sehen.

Früher wurde der Zusammenhalt im Dorf vor allem durch sechs „Pump-Gemeinschaften“ gestärkt. „Mehrere Häuser haben sich eine Pumpe für das Trinkwasser geteilt“, weiß eine Nachbarin.

Noch heute zeugt eine vier Meter hohe Pumpe, versteckt in einer Nische, von den historischen Erzählungen. Eine richtige Kanalisation gibt es erst seit den 90ern. Vorher schwamm das Abwasser durch die Kelze und hinterließ einen entsprechenden Geruch.

„Mürmeln wird unterteilt in ein Unterdorf, die City und das Oberdorf“, weiß Finken. Hier hat es früher sogar einen Tante-Emma-Laden und eine Gaststätte gegeben, wo man sich immer zum Skat spielen getroffen hat. Weil Kneipenbesitzer Heinz Engels altersbedingt die Wirtschaft schließen musste, bauten sich sechs Rentner auf Eigen-Initiative ein „Rentner-Haus“.

Hier wurde weiter Skat gespielt, Geburtstage und die Adventszeit gefeiert. Heute ist das Holz-Häuschen nicht mehr im Gebrauch. „Wer im Dorf größer feiern möchte, kann das bei mir tun“, verweist Hiltrud Finken auf den ausgebauten Hühnerstall direkt nebenan.

Nur mit viel Glück durfte das Ehepaar noch in Mürmeln bauen. „Um den dörflichen Charakter zu wahren, wurde ein Baustopp verhängt“, weiß sie. Weder Häuser durften gebaut noch Baulücken geschlossen werden. Schon damals machte Gatte Walter seine Sorgen über die Zukunft des kleinen Dorfes öffentlich.

Der Baustopp wurde aber nicht zurückgezogen. „Viele Mürmelner wären gerne hier geblieben, mussten aber leider wegziehen“, bedauert Hiltrud Finken. Erst nachdem ältere Einwohner verstorben waren, zieht es die jungen Familien wieder in das Straßendorf. „Mittlerweile zählen wir 20 Kinder und Jugendliche. Im vergangenen Jahr hat es sogar einen Baby-Boom gegeben“, lächelt sie.

Denn Mürmeln bleibt beliebt bei Kindern. Hier kann sorglos gespielt werden. In dem „Wurm-Fortsatz“ von Kelzenberg ist die Welt noch in Ordnung. „Jetzt gibt es sogar wieder viele Tiere hier“, schwärmt Finken – sogar schottische Hochlandrinder, die die idyllische Landschaft in der Stadt Jüchen genießen. Weil kein Bus durch die Ortschaft fährt, ist Finken jedoch froh, ein eigenes Auto zu haben.

Alina Gries

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