Ehrliche Worte von ukrainischen Schülern Zerissen zwischen Hoffnung und Angst

Wenn sich das Leben plötzlich komplett verändert: In der Heimat bricht Krieg aus, alles Vertraute wird zurückgelassen. Plötzlich steht man in der Fremde. Mit wenigen Habseligkeiten. Versteht die Sprache nicht. Muss ganz neu anfangen. Dieses Gefühl können wir uns alle wohl gar nicht vorstellen. Menschen, die all das erlebt haben, gehören aber zu unserem Alltag. Schüler der Gesamtschule Jüchen, die vor dem Krieg aus der Ukraine zu uns in die Sicherheit geflohen sind, sprachen nun offen mit dem Top-Kurier über das, was sie bewegt.

Valeriia, Volodymyr, Anna und Teodor sind dankbar für die Unterstützung an der Gesamtschule.

Valeriia, Volodymyr, Anna und Teodor sind dankbar für die Unterstützung an der Gesamtschule.

Foto: Kurier-Verlag GmbH/Julia Schäfer

Da sitzen sie: Volodymyr und Anna aus der siebten, Teodor aus der neunten und Valeriia aus der zehnten Klasse. Sie scherzen miteinander, naschen von den bereitgestellten Keksen. Sie wirken wie ganz normale Jugendliche in dem Alter. Dass sie Schreckliches erlebt haben und ihr Leben vor einem Jahr noch ganz anders war, wird in den stillen Momenten des Interviews bewusst: Wenn sie erzählen, wie es ist, eine neue Sprache zu lernen, wie sie mit dem Erlebten umgehen und wie schwer es ist, nach vorne zu blicken. Schulsekretärin Nina Knop hilft bei dem Gespräch mit dem Übersetzen.

Die vier Schüler, die aus der Ukraine nach Jüchen geflohen sind, sind froh, hier so gut aufgenommen worden zu sein: „Alle sind sehr nett, helfen gerne.“ Das größte Problem: die Sprachbarriere. Valeriia hatte in der ukrainischen Schule zwar auch etwas Deutschunterricht, aber sie habe ja nie damit gerechnet, einmal in Deutschland zu leben. Der Zehnklässlerin fiel es auch anfangs gar nicht leicht, sich in Deutschland zurecht zu finden: „Ich war traurig in den ersten Monaten. Alles war so neu und unbekannt. Ich wollte anfangs gar nicht das Haus verlassen, aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass wir wohl länger bleiben müssen und habe angefangen, Kontakte zu knüpfen.“

Der 16-jährigen Valeriia ist anzumerken, dass sie älter als die anderen Teilnehmer der Gesprächsrunde ist: Sie setzt sich mehr mit dem auseinander, was in ihrem Heimatland passiert: „Ich möchte einfach nur zurück, die Stadt wieder aufbauen, die Uni besuchen und mir ein eigenes Leben dort ermöglichen.“ Ein Satz, der schwer wiegt ausgesprochen von einem jungen Mädchen.

Wie zerrissen Schüler in dem Alter sind, weiß auch der stellvertretende Schulleiter Elmar Welter: „Die älteren Schüler gehen nicht unbefangen an die neue Situation ran und können ihre Sorgen zur Seite schieben. Valeriia war in der Ukraine eine tolle Schülerin, die ihren Weg gemacht hätte. Jetzt muss sie Deutsch lernen, nur so kann sie in die Oberstufe kommen und mithalten. Sie kämpft und ist ehrgeizig. Sie macht nicht nur unseren Abschluss, sondern auch den ukrainischen online. Dafür lernt sie jeden Tag zusätzlich.“ Doch die Erkenntnis Deutsch zu lernen, um hier zu bleiben, setze in den Köpfen auch Fragen frei: Gibt man damit die Hoffnung auf, schnell zurück zu kommen? Wie wird der Weg in Deutschland weitergehen? 

Fragen, die sich die jüngeren Schüler noch gar nicht stellen. Teodor und Anna gefällt es in Deutschland sogar so gut, dass sie sich vorstellen können zu bleiben. Besonders Teodor hat Fuß gefasst: Er singt im Chor „Projekt 007“. In der Musik findet der Schüler Halt, Ablenkung und die Möglichkeit, Emotionen auszudrücken. Er hat die deutsche Sprache schnell gelernt. Der Ansporn ist groß, denn er hat ein Ziel: „Meine Perspektiven sind hier besser, dass ich mir mit der Musik etwas aufbauen kann!“
Volodymyr hat beim Fußballverein VfB Hochneukirch seine sportliche Heimat gefunden, ist integriert und hat Freundschaften geschlossen.

Für Anna ist es etwas leichter geworden, seit sie weiß, dass ihre Verwandten es aus einer beschossenen Zone geschafft haben und sich in Sicherhiet gebracht haben: „Anfangs war es komisch, hier Spaß zu haben, während zuhause Krieg ist.“ Valeriia hat täglich Kontakt zu ihrem Vater und Bruder: „Das hilft mir nach vorne zu blicken.“

Doch dann bleibt da noch der Schulalltag. Die Gesamtschule hat schnell reagiert, als der Krieg ausbrach und ein Konzept erstellt, wie die Schüler integriert werden können. Begrüßungspakete mit Schulrucksäcken, Ipads und Material aber auch der zusätzliche Deutschunterricht mussten organisiert werden. Anfangs besuchten alle die gleiche Klasse, später wurden die Kinder auf die Jahrgänge verteilt und nehmen – neben zusätzlichen Deutschstunden – am Unterricht teil. „Ein großes Lob an unsere Lehrer, die sich viel einfallen lassen, damit der Unterricht auch für unsere ukrainischen Schüler funktioniert“, so Welter. Dass dies ankommt, erfährt der stellvertretende Schulleiter im Gespräch, als sich alle vier Schüler bedanken, dass die Schule sie so unterstützt. Doch die vier lachen auch: „Gut, dass wir die Klassenarbeiten noch nicht mitschreiben müssen!“

Was aber, wenn die Gedanken doch dahin schweifen, wo noch vor ein paar Monaten das Leben geregelt ablief und nun Krieg herrscht. Volodymyr lenkt sich ab und geht raus spielen. Teodor flüchtet in die Musik und Valeriia macht alles mit sich selbst aus: „Ich möchte meine Gedanken dann mit niemandem teilen, aber ich wüsste, wo ich Hilfe bekommen würde.“ Schulleiterin Susanne Schumacher erklärt: „Da einige Kinder teilweise schwere Flucht- und auch Kriegserfahrungen haben, ist es für die Gesamtschule Jüchen ein großes Anliegen auf ihre Gefühle einzugehen und zu versuchen, sie wieder in die Normalität zurückzuführen. Dazu dient das Thema ,Meine Gefühle‘ im Unterricht und unsere Gespräche mit der evangelischen Pfarrerin Christiane Hambsch als Seelsorgerin. Die Kinder haben dort die Möglichkeit, über das Erlebte zu sprechen und einen Rat zu bekommen, wie sie mit ihren Erfahrungen, schlimmen Gedanken oder mit der plötzlichen Panik umgehen können. Auch das Heimweh und der Wunsch, in die Ukraine zurückzukehren, werden angesprochen.“

Dass die Mitschüler aus Deutschland interessiert sind, finden die Ukrainer gut – vorausgesetzt die Fragen sind ernst gemeint. „Ich antworte gerne, wenn die Fragen taktvoll sind“, so Valeriia. Die jüngeren Schüler sehen noch nicht das Ausmaß. „Wir werden gefragt, ob wir Raketen gesehen haben.“ Wünsche haben die vier Schüler aus der Ukraine nicht viele. Es mag nicht verwundern, dass ein Wort fällt, was alles wieder verändern würde. Sie wünschen sich Frieden!

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