Künstler Jürgen Meisters Gedanken zur Corona-Krise: Ein kleines Tänzchen zu Milvas „Hurra, wir leben noch“

Die Corona-Einschränkungen treffen auch den Kunst- und Kulturbetrieb. Workshops, Ausstellungen, Aufführungen, Happenings – alles ruht. Jürgen Meister, Künstler und Lehrmeister aus Kapellen, gewährt im Folgenden einen tiefen Blick in seine Seele:

 240 Kilogramm Kunst. Von Jürgen Meister eigenhändig abgebaut und wieder nach Kapellen geschafft.

240 Kilogramm Kunst. Von Jürgen Meister eigenhändig abgebaut und wieder nach Kapellen geschafft.

Kapellen. „Als Künstler ist man gewohnt, mit sich selbst zurecht zu kommen, alle Impulse aus sich selbst zu generieren und sich selbst und das eigene Tun aus einem etwas distanzierten, aber wohlwollend kritischen Blickwinkel zu betrachten.

Kunst entsteht im Kampf mit sich selbst und den Einflüssen, denen man im Leben ausgesetzt ist. Darauf reagiert das künstlerische Bewusstsein. Mit expressiver Wucht und Ausdruckswillen.

Die jetzt gemachten Erfahrungen und ihre künstlerische Manifestation sind ein lang nachwirkender Fundus, aus dem man später schöpfen kann. Natürlich entstehen ununterbrochen neue Konzepte für großartige Kunstwerke, Ausstellungsplanungen und neue Ideen werden skizziert. Aber es müssen auch wieder „normale“ Zeiten kommen, in denen die jetzt im Elfenbeinturm geschaffenen Werke hinaus in die Welt können und von anderen Menschen wahrgenommen und erworben werden.

Die Beschäftigung mit den eigenen Farb- und Formwelten hat eine meditative, selbstheilende Wirkung und lenkt von allzu intensivem Grübeln ab.

Allerdings ist der kreative Fluss permanent abgelenkt durch die dramatische, lebensbedrohliche Weltsituation. Mittlerweile gehöre auch ich zur Risikogruppe und achte stärker auf mich, obwohl Kunst nur in der permanenten Selbstausbeutung entstehen kann.

Wenn die Kreativität durch zu viel Grübeln blockiert wird, greife ich zu einem bewährten Mittel, um kritische Zeiten zu überstehen: ich räume endlich mein Lager auf, entdecke dabei frühere Arbeiten neu, staune über manche vergessenen Werke und schöpfe wieder neue Kraft.

Es sind zwei neue Skulpturen im Entstehen und die ersten Farbschichten auf einem monumentalen malerischen Werk von vier mal zehn Metern sind bereits getrocknet. Es geht voran!

Gestern erst habe ich wegen der Kontaktsperre ganz allein eine 240 Kilogramm schwere Skulptur im Skulpturenpark Rees abgebaut, in meinen Transportanhänger verladen und wieder zurück in meinen Skulpturengarten in Kapellen transportiert. Mit Hebelkraft, Vorsicht und Rollbrett kann man so etwas auch allein bewältigen.

Eine bereits seit Ende Februar fertig gehangene Ausstellung mit über 80 Arbeiten in meinem Atelier kann ich leider nicht wie geplant der Öffentlichkeit zugänglich machen. Zugesicherte Ankäufe wurden storniert, ob diese jemals nachgeholt werden, steht in den Sternen.

Meine partizipatorischen Kunstveranstaltungen, zu denen ich regelmäßig kreative Menschen in mein Atelier zu gemeinsamen Workshops einlade, um zusammen mit ihnen an der Entstehung deren Kunstvisionen zu arbeiten, fallen aus. Damit wird eine bis heute erfolgreiche, über 37 Jahr andauernde Tradition zu ersten Mal unterbrochen.

Wann der nächste Workshop wieder stattfinden kann, ist noch unsicher.

Nicht allen Künstlern ist es in der Vergangenheit gelungen, ein Polster für schwere Zeiten anzusparen.

Da rächt sich auch die „schwarze Null“ in der öffentlichen Kulturförderung. Museen haben keinen Ankaufsetat für zeitgenössische Kunst, Kulturverwaltungen müssen ein anspruchsvolles Programm ohne nennenswerte finanzielle Ausstattung organisieren, Künstler werden gerne nur „ideell“ entlohnt und für ihren wichtigen Kulturbeitrag nicht entsprechend honoriert.

Schon der von mir hoch geschätzte deutsche Schriftsteller Arno Schmidt hat bereits vor Jahrzehnten sinngemäß formuliert, was mir bis heute nicht aus dem Kopf geht und meine Lebens- und Arbeitsmotivation hochhält. Auf die (selbstgestellte?) Frage nach der Sinnhaftigkeit von Literatur (Kunst) erklärt er: „Was die Zeiten überdauern wird und bleibt sind die Sonette, Dramen und Romane der Schriftsteller und nicht die Haushaltsberatungen, Gesetzentwürfe und Erlasse der politischen Debatten.“

Wenn meine Frau nach Hause kommt – sie arbeitet in einem systemrelevanten Beruf und kann nicht ausschließlich Homeoffice betreiben – tanzen wird zusammen zu Milvas „Hurra, wir leben noch“ und stöbern mit großer Genugtuung durch die Musikgeschichte der vergangenen 70 Jahre. Wir kochen zusammen, genießen das Essen. Zum erstem mal nach gefühlt drei Jahrzehnten habe ich wieder Kuchen gebacken. Und zwar nicht nach Rezept, sondern mit dem, was die Vorratskammer hergab. Meine Frau war begeistert.

Bleiben Sie gesund, achten Sie auf sich, beachten Sie die dringenden Empfehlungen seriöser Fachleute und vertrauenswürdiger Informationsquellen.“

Jürgen Meister,

bildender Künstler

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