Weihnachten 2022: „Wenn Gott sein Paradies verlässt…“

Grevenbroich · Im Advent 2022 gibt es diesmal ein etwas anderes „Bosse-Interview“: Wir sprachen mit zwei Männern und einer Frau, die für den christlichen Glauben und seine Verbreitung stehen. Jutta Köchner ist Vorsitzende des Katholikenrates im Rhein-Kreis. Pfarrer Meik Schirpenbach ist in Grevenbroich und Rommerskirchen für 21 Gemeinden und damit für etwa 41.000 Katholiken zuständig. Prior Bruno Robeck leitet das Zisterzienser-Kloster in Langwaden. Alle drei richten in diesem schwierigen Jahr den Blick auf Weihnachten, auf Jesus und auf die Zukunft. Dabei gibt es auch kritische Wahrheiten…

„Die Weihnachtsgeschichte hat weit mehr Bedeutung, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie könnte gerade in diesen schwierigen Zeiten Trost und Hoffnung bedeuten.“ Jutta Köchner.

„Die Weihnachtsgeschichte hat weit mehr Bedeutung, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie könnte gerade in diesen schwierigen Zeiten Trost und Hoffnung bedeuten.“ Jutta Köchner.

Foto: KV/Griese/Gerhard P. Müller/Griese

Pfarrer Maik Schirpenbach:

Meik Schirpenbach, leitender Pfarrer der katholischen Kirche in Grevenbroich und Rommerskirchen.

Meik Schirpenbach, leitender Pfarrer der katholischen Kirche in Grevenbroich und Rommerskirchen.

Foto: privat

Im Jahr 2022 ist die Welt relativ kräftig in Unordnung geraten. Putins Krieg, Gas- und Energiekrise, Inflation, wirtschaftliche Ängste vieler Bundesbürger – was bedeutet das alles für Ihren Blick auf das bevorstehende Weihnachtsfest?

Wir brauchen keine heile Welt, um gut Weihnachten feiern zu können. Im Gegenteil, Weihnachten ist eher ein Fest für Krisenzeiten, weil es uns inneren Halt und Kraft vermitteln will. Dass Jesus vor über 2000 Jahren in Bethlehem geboren wurde bedeutet, dass uns seine Kraft und Lebensenergie auch heute von innen her geschenkt wird.
Was haben uns in dieser Situation Jesus und die Bibel zu sagen? Welche Sätze müssen in diesem Jahr unbedingt von der Kanzel herunter ins Volk gegeben werden?

„Fürchtet Euch nicht“ – dieser Satz kommt in der Bibel ganz häufig vor. Angst blockiert. Vor allem Verlustängste. Wir können die anstehenden Krisen nur bestehen, wenn wir unsere Ängste wahrnehmen, aussprechen und sie teilen.

Dann wird das tragbar und wir können uns gegenseitig Halt vermitteln. Wir kommen da nur gemeinsam durch – und das gilt weltweit. Keiner kann für sich überleben, auch kein Land oder keine Gesellschaft.

Ich gehe davon aus, dass eine Hoffnungsperspektive für alle Menschen gibt. Mit weniger wäre ich nicht zufrieden. Deshalb: „Fürchtet euch nicht“

Gibt es Auswirkungen der aktuellen Krisen auf die Art und Weise, wie Weihnachten in Ihren Gotteshäusern gefeiert wird? Weniger warm, weniger Prunk, weniger Geschenke? Und dafür mehr milde Gaben?
Weniger warm wird es in einigen Kirchen auf jeden Fall, weil vielerorts die Heizung ausgeschaltet bleiben muss. Aber im Gottesdienst soll ja vor allem innere Wärme erzeugt werden. Prunk gibt es in unseren Kirchen hier sowieso nicht, aber es soll eine schöne, das Herz berührende Atmosphäre da sein, die uns innerlich aufbaut.
Sollten wir am Ende des Winters tatsächlich Heizkosten gespart haben, wollen wir das in soziale Projekte stecken und in unsere Caritasarbeit. Schon jetzt unterstützen wir hier regelmäßig Leute, die ihre Energiekosten nicht bezahlen können.
Ein Gedankenspiel: Wenn Gott seinen Sohn noch einmal auf die Erde senden würde, wo würde er dann hingehen? Was würde er uns Menschen dann vorwerfen? Was würde er von uns verlangen?
Dafür braucht es kein Gedankenspiel. Für mich kommt der Sohn Gottes immer wieder neu auf die Erde, und zwar in das Herz jedes Menschen. Das ist keine Geschichte von früher. Weil diese Kraft der Liebe überall hin will, sind wir trotzt aller Unterschiede alle miteinander verbunden.

Und ich glaube, Jesus wirft uns erst mal nichts vor, sondern hilft uns, uns selbst und unser Leben anzunehmen. Er würde von uns „verlangen“, dass wir lernen glücklich zu sein. Das kann man nämlich, indem mein einen neuen Blick auf sich und die Welt zulässt. Was uns im Weg steht, ist Unzufriedenheit. Mit einer solchen befreiten Lebenshaltung können wir die Krisen gemeinsam bewältigen.

Jutta Köchner.

Jutta Köchner.

Foto: Archiv

Jutta Köchner (Katholikenrat):

Im Jahr 2022 ist die Welt relativ kräftig in Unordnung geraten. Putins Krieg, Gas- und Energiekrise, Inflation, wirtschaftliche Ängste vieler Bundesbürger – was bedeutet das alles für Ihren Blick auf das bevorstehende Weihnachtsfest?

Weihnachten ist das Fest der „Geburt Christi“. Für mich bedeutet das, sich zurückzubesinnen, warum wir überhaupt Weihnachten feiern. Das Weihnachtsfest läuft Gefahr, als reines Geschenke- und Familienfest seinen christlichen Inhalt zu verlieren.

Auf der anderen Seite übt Weihnachten auch heute noch eine unglaubliche Faszination auf die Menschen aus und veranlasst auch die der Kirche entfremdeten Menschen, einmal im Jahr zum Weihnachtsgottesdienst in die Kirche zu gehen.

Die Weihnachtsgeschichte hat weit mehr Bedeutung, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie könnte gerade in diesen schwierigen Zeiten Trost und Hoffnung bedeuten. Der Glaube an Gott kann die Grundlagen für bessere Beziehungen sein. Beziehungen, die Dankbarkeit für die kleinen und unscheinbaren Dinge des Lebens ermöglicht. Es muss nicht immer harmonisch sein, es muss nicht immer ohne Streit sein, aber wichtig ist die gegenseitige Annahme, Akzeptanz und Geduld sowie das Zuhören.

Was haben uns in dieser Situation Jesus und die Bibel zu sagen? Welche Sätze müssen in diesem Jahr unbedingt von der Kanzel herunter ins Volk gegeben werden?

Ich wünsche mir Worte, die den Menschen Mut machen und zum friedlichen Miteinander aufrufen. Ich wünsche mir Worte, dass Verzicht und weniger Konsum unser Leben im Grunde reicher machen kann. Ich wünsche mir Worte, dass wir lernen bewusster mit unserer Schöpfung, der Umwelt und Tierwelt umgehen, und zum Beispiel weniger Lebensmittel vernichten.

Andererseits erhoffe ich mir auch, dass es einen Aufruf gibt, den Armen und Kranken zu helfen, sie zu unterstützen und schauen, wo es in unserem Umfeld nötig ist.

Gibt es Auswirkungen der aktuellen Krisen auf die Art und Weise, wie Weihnachten in Ihren Gotteshäusern gefeiert wird? Weniger warm, weniger Prunk, weniger Geschenke? Und dafür mehr milde Gaben?

Weniger warm ist an vielen Stellen notwendig. Das bedeutet für mich, sich bereits jetzt wärmer anziehen, wenn ich in einen Gottesdienst gehe. Das sollte für uns alle kein Problem sein.
Meines Wissens werden die meistens Kirchen in Abhängigkeit der Gegebenheiten vor Ort nicht gar nicht geheizt, sondern nur weniger.

Weniger Prunk: Prunk hat es in unseren Kirchen im Rhein-Kreis auch in den vergangenen Jahren nicht gegeben. Festlich ist das richtige Wort - das gehört im richtigen Rahmen zu einer festlichen Feier.

Trotz der aktuellen, finanziell schwierigen Situation wünsche ich mir, dass die Sammlungen der christlichen Hilfswerke auch weiter Spenden erhalten.

Ein Gedankenspiel: Wenn Gott seinen Sohn noch einmal auf die Erde senden würde, wo würde er dann hingehen? Was würde er uns Menschen dann vorwerfen? Was würde er von uns verlangen?

Ich glaube, dass Jesus - wie vor 2000 Jahren - zu den Armen und Kranken gehen würde, um sie zu trösten.

Er würde vielen Menschen vorwerfen, dass sie aus „Gier“ die Schöpfung nicht wertgeschätzt, viel zu sehr an das eigene Wohl gedacht und viel mehr verbraucht haben, als sie wirklich für ein gutes Leben benötigen.

Er würde nicht verlangen, sondern uns ermahnen, zu bedenken, was wir wirklich für unser Leben brauchen und auffordern uns zu besinnen und uns „gemeinsam“ einzuschränken.

Er würde von uns verlangen, Frieden zu finden, das bedeutet eine gute Beziehung zu haben: zu anderen Menschen, zu sich und zu Gott.

 Prior Bruno Robeck mit dem „Langwadener Engel“.

Prior Bruno Robeck mit dem „Langwadener Engel“.

Foto: KV/Gerhard P. Müller

Pater Bruno Robeck:

Im Jahr 2022 ist die Welt relativ kräftig in Unordnung geraten. Putins Krieg, Gas- und Energiekrise, Inflation, wirtschaftliche Ängste vieler Bundesbürger – was bedeutet das alles für Ihren Blick auf das bevorstehende Weihnachtsfest?

Nichts ist selbstverständlich. Diese Botschaft ist das große Hintergrundrauschen des Jahres 2022. Aber auch Weihnachten ist nicht selbstverständlich. Es ist ein Geschenk, dass Gott Mensch wurde. Daher empfinde ich es als Geschenk, dass wir Weihnachten feiern können.

Doch Weihnachten wird in diesem Jahr für mich kein gemütliches Fest werden. Selbst wenn ich in diesem Jahr wieder in einem warmen und geschmückten Zimmer mit reichlich gedecktem Tisch sitzen darf, gibt es gleichzeitig viele Menschen – wahrscheinlich sogar nur wenige Kilometer entfernt – die nicht so feiern können. Ihre Alltagserfahrungen des Mangels, der Angst und der Not werden nicht durch die Weihnachtsfeiertage unterbrochen, sondern im Gegenteil vielleicht noch verstärkt. Was an Weihnachten passiert ist, war nie selbstverständlich und wird es nie sein. Es ist ein Geschenk.

Es brauchte damals Gott, der uns dies Geschenk machte. Heute braucht es uns, damit wir zu Geschenkebringern für die anderen werden.

Was haben uns in dieser Situation Jesus und die Bibel zu sagen? Welche Sätze müssen in diesem Jahr unbedingt von der Kanzel herunter ins Volk gegeben werden?

Wenn wir Weihnachten die Menschwerdung Gottes in Jesus feiern, dann heißt das für mich, dass Jesus seine göttliche Komfortzone verlässt und in unsere schwierige, problematische und auch gewaltsame Welt kommt.

Wenn Gott sein Paradies verlässt, heißt das doch im Umkehrschluss, dass ich mir nicht mein kleines Paradies auf Erden bauen darf, sondern ebenfalls schauen muss, wo Hilfe gebraucht wird. Weihnachten fordert uns auf, die oft so harte und bittere Realität anzuerkennen und sie zum Guten zu verändern. Diese Entwicklung, die mit Jesus begonnen hat, müssen wir fortsetzen.

Gibt es Auswirkungen der aktuellen Krisen auf die Art und Weise, wie Weihnachten in Ihren Gotteshäusern gefeiert wird? Weniger warm, weniger Prunk, weniger Geschenke? Und dafür mehr milde Gaben?

Schon aus unserer Mönchs-Tradition als Zisterzienser legen wir großen Wert auf Einfachheit und Bescheidenheit. Es ist für uns selbstverständlich, dass wir helfen, wo wir können. Vor diesem Hintergrund beantwortet sich diese Frage von selbst.

Es könnte jedoch etwas anderes geschehen. Wenn es wirklich zu einem großen Energieengpass kommen sollte, so dass wir alle betroffen sind, dann hoffe ich, dass wir ihn mit Geduld annehmen, in Ruhe überlegen, wie wir damit umgehen und auch die anderen nicht aus dem Blick verlieren, die dann ebenso darunter leiden wie wir. Gerade dann wird sich zeigen, ob wir fähig sind zusammenzuhalten und einander beizustehen.

Dann kann uns die Weihnachtsbotschaft wieder motivieren, dass Gott in unsere unheile Welt kommt, uns nicht allein lässt, aber auch will, dass wir füreinander da sind.

Ein Gedankenspiel: Wenn Gott seinen Sohn noch einmal auf die Erde senden würde, wo würde er dann hingehen? Was würde er uns Menschen dann vorwerfen? Was würde er von uns verlangen?

Ehrlich gesagt, finde ich dieses Gedankenspiel mühsam und nicht hilfreich: was wäre, wenn…? Ich könnte mir viele Szenarien vorstellen. Doch sie bleiben alle im Spekulativen stecken.

Daher vertiefe ich mich viel lieber in die Bibel und schaue, was dort steht. Jesus hat vor allem die Beziehung zu seinem Vater im Himmel gepflegt. Diese Verbindung hat ihn nicht zu einer reinen Innerlichkeit geführt, die die Umwelt nicht mehr wahrnimmt. Sie hat ihn gestärkt, gegen die Ungerechtigkeiten in der Welt seine Stimme zu erheben, sie hat ihm Kraft gegeben zu heilen.

Darum würde er wohl auch als erstes von uns verlangen, dass wir unsere eigene Gottesbeziehung vertiefen sollen, alles andere wird sich daraus ergeben – so wie man bei ihm oder auch in vielen Heiligen-Biografien erkennen kann.

(Gerhard P. Müller)
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