Von Hexerei, Werwölfen und Totschlägern: In alten Gerichtsakten gestöbert…

Grevenbroich · „Mach keine Umstände“ – dieses heute weitverbreitete Sprichwort kommt ursprünglich aus dem mittelalterlichen Rechtswesen, als alle Gerichtsverhandlungen öffentlich waren und die Dorfbewohner um die Richter „herumstanden“.

Die Linde in Gruissem. Sie ist mittlerweile rd. 300-500 Jahre alt. An solch markanten Plätzen wurde früher öffentlich Recht gesprochen.

Foto: Kühnel

„Mach keine Umstände“ hieß also konkret: „Lassen wir es auf eine Gerichtsverhandlung nicht ankommen!“ Die Richter führten die Prozesse häufig an zentralen Plätzen im Ort, zum Beispiel vor einer alten Linde.

Über diese Zeit, in der es weder Präzedenzfälle noch Gesetzbücher gab, berichtet Dr. Mike Kunze, Historiker und Vorsitzender des Geschichtsvereins Meerbusch, beim Geschichtsverein Grevenbroich am 30. Oktober. Kunze weiß: „Früher waren die Gerichtsurteile darauf angelegt, dass es Ruhe im Dorf gab. Abschreckung stand im Vordergrund, von Resozialisierung war überhaupt nicht die Rede.“

Da wurden die Delinquenten schon mal öffentlich in ein Holzgerüst gesteckt , also „an den Pranger zur Schau gestellt“, gleichsam als Mittel zur Sozialdisziplinierung, nach dem Motto „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.“

Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass respektloses Verhalten gegenüber der Obrigkeit besonders hart bestraft wurde. Kunze erzählt anhand von Beispielen über die Urteile des „Freien Schwurgerichts der Stadt und des Amtes Linn“, dessen Gerichtsbezirk bis zur Französischen Revolution um das Jahr 1800 bis ins nördliche Neuss reichte.

Beispielsweise wurden Alkoholexzesse (zum Beispiel bei Karnevalsveranstaltungen) schon dadurch hart bestraft, indem der Beschuldigte vor Gericht nach Linn (bei Krefeld) zitiert wurde, häufig ein weiter Weg mit hohem Arbeitsausfall und dann auch noch mit einer Geldstrafe belegt wurde.

Beleidigungen und Schlägereien waren an der Tagesordnung; schon damals fand man aber Mittel und Wege, solche Prozesse in die Länge zu ziehen, um zum Beispiel außergerichtliche Vergleiche herbeizuführen. Kunze beschreibt: „Ein Mittel war es auch, Angeklagte zum öffentlichen Widerruf von falschen Anschuldigungen zu verurteilen, damit sie sich beim nächsten Mal gut überlegen sollten, noch einmal ,falsch Zeugnis’ gegenüber anderen abzulegen; das hatte wiederum auch abschreckende Wirkung.“

Die Urteilshöhe beruhte auf „Mund-zu-Mund-Überlieferung“. Kunze weiß aber auch: „In schwierigen Fällen fragte man den Kölner Hofrat oder unparteiische Rechtsgelehrte um Rat.“ Die Richter und Schöffen waren aber auch Kritik ausgesetzt, wenn bekannt wurde, dass die Hälfte der Geldstrafen für eine üppige Verpflegung des Gerichts verwendet wurde. Oder wenn wieder einmal über vermeintliche Verfehlungen von Dienstboten zu befinden war, denn da waren die Richter sozusagen in einem Interessenkonflikt, waren sie doch selbst meist Arbeitgeber von Dienstmägden und Knechten. Es wundert also nicht, dass die Dienstboten nur einmal jährlich nach der Ernte kündigen durften, während die Herrschaft ihre Angestellten jederzeit rauswerfen konnten. Dienstboten waren also von der Rechtsprechung besonders benachteiligt.

Übrigens: Ortsvorsteher in den Dörfern gaben nicht jedes Vergehen an das Gericht weiter, es wurden viele Fälle auch intern mit einem Vergleich geregelt. Das ist heute die Aufgabe der ehrenamtlichen lokalen Schiedsmänner, eben nach dem Motto „Mach doch keine Umstände“.

Der Vortrag „Von Hexerei, Werwölfen und Totschlägern: In alten Gerichtsakten gestöbert…“ von Dr. Mike Kunze beim Geschichtsverein Grevenbroich findet am 30. Oktober um 19 Uhr im Museum „Villa Erckens“ statt. Der Eintritt ist frei; eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

(-ekG.)