Ja, lächelt Klaus Langer gelassen, das Instrument Harmonium habe seine Blütezeit (deutscher Export-Schlager unter anderem in die USA) längst hinter sich, sei aber bei Sammlern immer noch gefragt. Und selbst Musikstücke für das Harmonium würden immer noch komponiert. Unter anderem auch von ihm hoch selbst.
Der gebürtige Grevenbroicher (65) studierte in jungen Jahren Ton- und Bildtechnik. 20 Jahre war er dann mit dem Ü-Wagen für den Rundfunk unterwegs; später arbeitete er für das ZDF-Landesstudio Düsseldorf. Irgendwann wollte er neue Wege gehen, studierte Kirchenmusik in Rothenburg. In der Zeit gründete er den Jugendchor an „St. Stephanus“ in Elsen und leitete ihn drei Jahre lang. Das Ensemble wuchs unter seiner Führung von sechs auf 35 Sänger an. Auch den Wevelinghovener Kirchenchor betreute er zeitweise, führt mit dem dortigen Kinderchor Musicals auf.
Schon während seines zweiten Studiums fing Klaus Langer an zu komponieren. So hat er die Lukas-Passion für die Kantorei der Friedenskirche in Düsseldorf geschrieben und es möglich gemacht, Jesus´ letzten Atemzug am Kreuz auf einem Instrument zu spielen. „Mit dem Harmonium kam ich zum ersten Mal während der Schulzeit in Kontakt, als mich ein Schulfreund darauf aufmerksam machte, das Instrument in der Grevenbroicher Krankenhauskapelle würde entbehrlich“, erinnert sich Langer. „Also habe ich es für 50 Mark erworben und auf dem Lkw eines Dachdeckers nach Hause transportiert. Es ist ein sehr schönes, umfangreich ausgestattetes Instrument von ,Mannborg‘, das inzwischen generalüberholt im Opernhaus im schwedischen Malmö seinen Dienst tut.“
Danach habe er so manches Harmonium „aufgeschraubt und repariert“. Denn genau das sei quasi sein dritter Beruf geworden: Vor der Handwerkskammer in Düsseldorf legte er die Prüfung als „Harmonium-Restaurator“ ab, hat seinen Titel und die Ausbildungserlaubnis. Allerdings, so fügt Klaus Langer an, gibt es dieses Berufsbild heute nicht mehr. Und so sei er „der einzige Harmonium-Bauer nördlich des Weißwurst-Äquators“.
Gefragt sei dieses Instrument in der Begleitung von Chören, bei speziellen Einsätzen in Opernhäusern – und vor allem in Skandinavien. In seiner Werkstatt an der Rheydter Straße stehen viele Harmonien, zum Teil restauriert, zum Teil in Arbeit. Der Fachmann unterscheidet dabei nach der Technik in Saugwind-, Druckwind- und Koffer-Harmonien. Auf dem Markt gebe es ein riesiges Angebot an alten Instrumenten, aber seltener nur Nachfrage.
Der Fachmann klärt auf: Zwischen 1850 und 1920 wurden eine Million dieser Instrumente verkauft. Sie dienten in Kirchen als preiswerter Orgel-Ersatz. In den aufkommenden bürgerlichen Haushalten waren sie Prunkstücke (und zugleich doch bezahlbarer als die hochherrschaftlichen Flügel). Viele davon seien im Laufe der Jahre „durch Kriege und Sperrmüll verloren gegangen“. Langer schätzt, dass rund 200.000 immer noch in Deutschland zu finden seien.
Heute gebe es übrigens keine Hersteller mehr, die neue Modelle dieses rein mechanischen Instruments produzieren würden. Auch Ersatzteile werden nicht mehr angeboten. Er müsse für seinen Fundus entweder alte Instrumente ausschlachten. Oder die Ersatzteile neu- oder nachbauen. Zudem hatte er Glück: Als die letzte Werkstatt in Düsseldorf schloss, konnte er sich bei den Restbeständen eindecken.
Was macht den besonderen Reiz dieses Instrumentes aus? Nun, es erfordert sozusagen den Einsatz des gesamten Körpers: Mit den Händen wird auf den Tasten der Ton gehalten, die Lautstärke wird mit dem Fuß gehalten und per Kniehebel wird variiert. Klingt kompliziert. Klaus Langer lacht: Zur Hochzeit des Harmoniums gab es keine Tonträger. „Die Leute hatten keine andere Chance, als die Musik selbst zu machen.“
Irgendwann kamen die Schellackplatten und später gar die elektrischen und elektronischen Instrumente. Der Niedergang des Harmoniums begann; die Instrumente wurden nicht mehr gepflegt. „Sie mussten ein trauriges Dasein in kalten Friedhofskapellen fristen“, resümiert Langer, der im Juni 2021 aus Düsseldorf zurück nach Grevenbroich (in sein Elternhaus) zog.
Um das Harmonium und sein schon besonderes Klangbild zu bewahren, etablierte er über die gemeinnützige Unternehmergesellschaft „harmonium.plus“ das Festival in Brüggen. Für den Ort entschied man sich vor zehn Jahren eher zufällig, vor allem wegen der tollen Atmosphäre dort. Und auch die Verantwortlichen im dortigen Rathaus sind sehr zufrieden: „Die möchten das nicht mehr missen“, sagt Langer mit breiter Brust.
Harmonium-Fans aus ganz Europa reisten auch am vergangenen Wochenende wieder an; vor allem in den Niederlanden ist die Fan-Gemeinde groß („Die sind uns 20 Jahre voraus.“). Ihm sei es wichtig, die „vielen Paletten der Musik“, die mit dem Harmonium möglich seien, zu zeigen. Der Bogen reicht dabei von Kirchen- und Chormusik, über Kammermusik (zusammen mit Horn, Flöte oder Geige) bis hin zu Jazz und Folk-Musik (in Schweden ist die Kombo Harmonium und Fiedel sehr verbreitet). „Da geht uns der Stoff mit Sicherheit nicht aus“, strahlt der Grevenbroicher zufrieden. In diesem Jahr gab es Konzerte wie „Polnische Tangos“, „Norwegische Impressionen“ und „Romantik pur“.
Klaus Langer hat den Kopf voller neuer Projekte – als Komponist, Musiker (unter anderem in Zusammenarbeit mit Felix Sokol), als Restaurator und natürlich als Festival-Macher. Einmal, so merkt er nachdenklich an, durfte er ein kleines Konzert im Grevenbroicher Museum spielen. Mehr war aber nicht, obwohl er sich eine ganze Konzertreihe vorstellen könnte …