1. Grevenbroich

Jahrhundertealtes Kulturgut Kirmes: Das Karussell muss sich weiterdrehen

Jahrhundertealtes Kulturgut Kirmes : Das Karussell muss sich weiterdrehen

Als der BSV im Jahre 1849 gegründet wurde, durfte er nur an einem Sonntag und am darauffolgenden Montag feiern. Hintergrund für die restriktiven Feierlichkeiten war die seit 1831 in Preußen grassierende Cholera-Epidemie, die der preußische Staat im Folgejahr mit einer Verordnung gegen das „Vordringen der asiatischen Cholera“ einzudämmen versuchte.

Grevenbroich. Just als sich der BSV Grevenbroich am 30. Juni 1849 gründete, suchte eine zweite Epidemie-Welle die rheinische Provinz heim und sollte Hunderten von Menschen das Leben kosten.

Die „Cholera-Verordnung“ sah das sicherste Schutzmittel „in einer geregelten und nüchternen Lebensweise“, ebenso in einer „ruhigen, von ängstlicher Furcht entfernten Gemüthsbestimmung“. Umgekehrt seien „unordentliches Verhalten, Unmäßigkeit im Essen und Trinken, insbesondere der Missbrauch geistiger Getränke, nächtliches Umherschwärmen, überhaupt alle, den Körper zerrüttende physische Ausschweifungen vorzugsweise geeignet, die Empfänglichkeit für die gefürchtete Krankheit herbeizuführen und zu erhöhen“.

Man kann schon erahnen, welche Schlussfolgerungen die Düsseldorfer Beamten hieraus zogen. Sie sahen darin einen Anlass zur Warnung „vor dem leider Überhand nehmenden Missbrauch der so genannten ,Kirmessen’, welche so vielfältige Gelegenheit zur Völlerei und zu nächtlichem Umhertreiben darbieten und abgesehen von dem jetzt mehr als jemals davor zu befürchtenden Nachteilen für die Gesundheit, auch sonst in physischer und moralischer Hinsicht nicht selten von den verderblichsten Folgen sind“.

 Das Foto der „Moppenbude“ stammt aus der Zeit um 1900 und wurde von Familie Deden zur Verfügung gestellt.
Das Foto der „Moppenbude“ stammt aus der Zeit um 1900 und wurde von Familie Deden zur Verfügung gestellt.

Also wurden Kirmesfeierlichkeiten auf zwei Tage begrenzt. Denn der Schützenverein hatte in seinem Gründungsstatur festgehalten, dass das Schützenfest einschließlich des Königsschießens „an den Kirmestagen“ stattfinden sollte. Das Schützenfest, zu dem der Schützenverein im „Schützenwäldchen“ Tanz und Volksspiele veranstaltete, wurde also an den Kirmestagen des traditionellen Laurentius-Jahrmarktes, verbunden mit einem Sonntagsmarkt, gefeiert. Solche wie der Laurentius-Markt seit Jahrhunderten in Grevenbroich existierenden Jahrmärkte waren die Keimzellen der heutigen Kirmessen.

Als „Kirch-Messe“ wie beim Grevenbroicher Laurentius- oder Hubertus-Jahrmarkt waren sie aus kirchlichen Patronatsfesten oder wie beim wie beim Grevenbroicher „Laetare-Jahrmarkt“ in der halben Fastenzeit mit Fastenbrechen aus hohen kirchlichen Festtagen hervorgegangen.

Diese kirchlichen Jahresfeste boten den Menschen die Gelegenheit, am Sonntag „Staat zu machen“, unter dem Motto „Saure Wochen, frohe Feste“ auch gemeinsam zu Essen und zu trinken und gemeinsam zu feiern.

 Die dritte Aufnahme ist die älteste. Sie zeigt des „Theater Croneneberg Grevenbroich“ in den 1890er Jahren.
Die dritte Aufnahme ist die älteste. Sie zeigt des „Theater Croneneberg Grevenbroich“ in den 1890er Jahren.
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Zu diesen Jahresfesten – regelmäßig verbunden mit einem Viehmarkt – fanden sich schnell fliegende Händler, „Moppenbuden“ mit süßen Leckereien, fahrendes Volk und zahlreiche Schau-Steller ein. Bald emanzipierten sich die jährlichen „Kirch-Messen“ von ihren kirchlichen Wurzeln und etablierten sich als Kirmes-Markt. Die Zeiten überleben sollten dann aber vor allem im Rheinland nur die mit einem Schützenfest verbundenen Kirmessen.

Diese Kombination entwickelte sich zu einer einzigartigen Erfolgsgeschichte, die zwar ständig unter der kritischen Beobachtung und Eindämmungsversuchen der Obrigkeit stand, sich aber letztendlich immer durchsetzen konnte.

So deklarierte der Bürger-Schützen-Verein den Kirmes-Samstag zu einer Generalversammlung und etablierte am Dienstag die Krönung des Königs, um bis heute am Kirmeswochenende von Samstag bis Dienstag Schützenfest und Kirmes feiern zu können. Es entstanden Grevenbroicher Schaustellerfamilien, die über Generationen auf den Kirmesplätzen vertreten waren.

Schon 1890 hieß es, dass sich unzählige „Schaubuden, Schießbuden, Karoussells und Leckerbuden, ein Hippodrom, Panoramas“, kurz, „die neuesten Wunder der Welt“ zur Grevenbroicher Kirmes eingefunden hatten.

Hinzu kamen die zahlreichen Verkaufsbuden. Standen um die Jahrhundertwende in der näheren Umgegend während der Kirmes beispielsweise in Wevelinghoven fünf bis zehn, in Allrath oder Neuenhausen vier bis fünf oder in Barrenstein lediglich eine Marktbude, reihten sich in Grevenbroich bald bis zu 30 Buden aneinander.

Unterbrochen wurden Schützenfeste und Kirmes nur in Kriegszeiten wie dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 sowie dem ersten Weltkrieg 1914 bis 1918, wobei sich selbst im letzten Kriegsjahr 1918 wieder ein Karussell auf dem Grevenbroicher Kirmesplatz drehen, mit der Schiffschaukel zusammen für Vergnügen und mit einem Pavillon für das leibliche Wohl der Gäste gesorgt werden sollte.

Auch die „schwere Zeit“ des Krieges, so zeitgenössische Militärquellen, verlangten, „dem Geist andere Gedanken als nur Kriegssorgen zuzuführen“. Als alle Schützenfeste und Kirmessen im Kreis Grevenbroich 1921 auf nur zwei Wochenenden zusammengelegt werden sollten, gründete sich sogar erfolgreich eine Volksinitiative, die binnen weniger Tage mehrere Tausend Unterschriften sammelte und sich in einem flammenden Appell äußerte, den „Rheinländern die rheinischen Volksfeste“, die „tief in der Seele eines jeden geborenen Rheinländers wurzeln“, zu belassen.

Zu einer zehnjährigen Unterbrechung kam es mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Erst seit 1948 sollte es wieder zu den bis heute über 70 Jahre ununterbrochenen unbeschwerten Festen kommen.

Kirmes war immer auch ein Spiegelbild ihrer Zeit: Seien es die heute zu recht kritisierten „Völkerrassenschauen“ in den Kolonialzeiten des Kaiserreiches, der „große Kirmestrubel verbunden mit erstklassiger Jazzband-Musik“ der „Goldenen Zwanziger Jahre“, der „Tanz auf dem Vulkan“ in Zeiten der Weltwirtschaftskrise nach dem „schwarzen Freitag“ im Jahr 1929, seien es die Aufmärsche der Braunhemden und vorgeblich gelebte Volksgemeinschaft in Schützenzelt und auf dem Kirmesplatz der NS-Zeit, die Wirtschaftswunderjahre der jungen Bundesrepublik mit Autokarussells oder die Raketenflieger der 60-er Jahre der Kennedy-Ära: Kirmes ist immer auch eine Kulturgeschichte der Zeit über die Jahrhunderte hinweg.

Nun sollte sich zu Beginn dieses Jahres alles ändern, als zu Beginn ausgerechnet der Schützenfest- und Kirmessaison die Corona-Pandemie und der damit verbundene „Lock-Down“ kam, dem in diesem Jahr – erstmals seit Jahrhunderten mit Ausnahme der Kriegszeiten – auch alle Feste komplett zum Opfer fallen.

Betroffen sind nicht nur die Schützen, sondern vor allem auch die Schausteller, für die der Ausfall eine Existenzbedrohung darstellt.

Demokratisch infrage stellen, diskutieren und Einfluss auf die politischen Entscheidungen nehmen ist ein Grundrecht! Verschwörungstheorien folgen, den Staat grundsätzlich infrage stellen oder gar vermeintlichen „Widerstand leisten“, das ist keine Antwort auf die heutigen Pandemie-Zeiten und gefährdet den Rechtsstaat.

Aber: Das Karussell muss sich weiterdrehen! Kirmes ist auch bei uns ein Kulturgut. Dieses Kulturgut darf nicht sterben. Angesichts der vielen Grevenbroicher Schaustellerfamilien und ihrer Beschäftigten, der weit über 5.000 bedrohter Familienbetriebe in Deutschland und der direkt daran hängenden über 55.000 Arbeitsplätze muss dem Schaustellergewerbe geholfen werden. Sei es durch kreative Lösungen oder einem Rettungsschirm. Es ist nicht fünf vor, sondern fünf nach zwölf!

Ulrich Herlitz