Meine Ausrüstung gebe ich wie vereinbart im General Store ab, dann nehme ich mir eine ziemlich laute Bude mit Klo und Dusche auf dem Gang für 130 Dollar die Nacht – direkt an der Straße. Naja, das ist besser, als draußen zu pennen, denn es wird die ganze Nacht durch Regen geben.
Am nächsten Tag treffe ich Mr. Dan Davidson.Er schreibt für die Yukon News und am Nachmittag gebe ich spontan ein Interview im hiesigen Radiosender. Klar ist, dass ich die Hütte von Jack London besuche und natürlich auch jene von dem großen Poeten jener Zeit, Robert Service.
Die Stadt ist gut besucht. Lange schon lebt Dawson auch vom Touristenstrom, der hier vor allem in den Sommermonaten und bis Anfang Herbst die Gassen füllt. Verständlicherweise wollen viele unter ihnen dem Flair des längst vergangenen Goldrausches nachspüren und werden häufig in Scharen von Busunternehmen in die kleine Stadt gekarrt. So Ende September geht's mit dem Trubel dann merklich zurück und die Bewohner haben ihre Stadt wieder für sich ...
Auf dem Dempster Highway, Auszug aus dem Logbuch vom 20. August, Tag 5: Sehr anstrengend, nach wie vor! Treffe auf den Radfahrer Mariano aus Sardinien. Der ist über den MC Kenzie River gekommen und nun weiter mit dem Rad. Bin auf dem „7 Mile Hill“ – das Land öffnet sich ins unermessliche. Das ist Wahnsinn, aber auch der Schotter! Ich fahre bis in die Nacht und schaffe gerade Mal 74 Kilometer.
21. August Tag 6: Es bleibt hart und ich werde wieder von den Trucks und den Autos eingesaut – komme nach Eagle Plains und bleibe. Baue still und heimlich mein Gehäuse in einer Nische im Busch auf und gehe duschen. Umsonst. Mein Fresspaket ist da – ab jetzt kommen noch ein paar Kilos dazu - esse einen Burger für 29 Dollar!
22. August, Tag 7: „Eagle Plains“ to „Rock River“. Von wegen flach – jedenfalls muss ich mit meinem schweren Anhänger einige Arbeit leisten und steige immer wieder ab. Komme zum Arctic Circle; bekomme einen Apfel und Wasser von einem Ehepaar aus Quebec und dann weiteres Wasser und Äpfel von ein paar Asiaten geschenkt – erst spät erreiche ich Rock River, esse nur noch ein paar Wasas mit Schoko.
Der Dempster Highway ist fast ausschließlich eine Schotterstraße und wenn dir die fetten Trucks mit überhöhter Geschwindigkeit entgegenkommen, dann heißt es sofort in Deckung zu gehen. Doch wohin?
Gleich neben der Fahrbahn ist meist nur undurchdringbares Gebüsch und so wende ich mich ab und warte bis das Monster an mir vorbei gebrettert ist. Danach heißt es, ein Tuch vor den Mund zu nehmen und möglichst nicht mehr einzuatmen denn der Truck zieht eine mehrere hundert Meter lange Staubfahne hinter sich her die, mich jedes mal von Kopf bis Fuß aufs neue einsaut. Wenn es dann auch noch regnet, wird die Straße zur Schlammpiste. Mehr brauche ich an dieser Stelle sicherlich nicht erklären ... Viele der Trucker haben Terminfracht geladen und nehmen auf Radfahrer oftmals keine Rücksicht!
Die Menschen hier im Yukon und in den Northwest Territories sind ausgesprochen hilfsbereit und sehr freundlich! Kurz vor dem Peel River erhalte ich von Angehörigen der „Gwich'in First Nations“ eine Einladung zum Gottesdienst mit anschließendem gemeinsamen Essen in Fort Mc Pherson. Und bei der lieben Winnie, ebenfalls eine Gwich'in, eine Herberge für die Nacht.
Ich gelange an den MC Kenzie River und fahre mit der Fähre rüber nach Tsilgehtchic, einem Dorf der „Gwich'in First Nations“. Hier darf ich sogar im Office Übernachten und bekomme von Charlene Blake, der neu gewählten Anführerin der Gwich'in, eine Botschaft auf meinen Weg.
Einen Tag später erreiche ich Inuvik und lerne den Präsidenten des „Nihtat Gwich'in Council“, Kelly Mc Leod, kennen und werde auch hier überaus freundlich empfangen. Wir reden über die Problematik bei der Wasserversorgung in Inuvik. Diese sei durch Altlasten von Unternehmen hervorgerufen worden, die bereits vor Jahrzehnten hier in diesem Gebiet angesiedelt gewesen waren. Kürzlich sei hierfür ein neues Wasserbecken gebaut worden, um diesem Problem zu begegnen.
Es ist Mittwoch der 27. August. Der „Inuvik – Tuktojaktuk Highway 10“ ist erst seit 2017 fertig gestellt worden und bildet die einzige Landbrücke zwischen Inuvik und Tuk, wie die Bewohner der Northwest Territories ihre kleine Stadt am Arktischen Ozean nennen. Die 153 Kilometer lange Schotterstraße ist auf Permafrost erstellt und muss immer wieder ausgebessert werden. Doch für die Bewohner Tuks lohnt sich das, war man doch noch bis 2017 ausschließlich in den Winter-Monaten über den zugefrorenen Mc Kenzie River mit der Außenwelt verbunden und zahlte für einen Flug rüber nach Inuvik, beispielsweise um Verwandte zu besuchen, einen sehr hohen Preis.
Durchnässt vom Regen stehe ich frierend an einer der vielen Baustellen der Strecke und warte das es endlich weitergeht. Die Straße ist vom Regen ziemlich aufgeweicht und es sieht so aus, als würden die letzten gut hundert Kilometer bis zu meinem Ziel für mich jetzt auch noch zu einer Schlammschlacht werden.
Da spricht mich ein Autofahrer an, der an seinem Truck ebenso wie ich wartet, das es weitergeht. „Woher kommst du?“ und, weil ich so oft angesprochen werde und des Redens manchmal überdrüssig und einfach zu müde bin, antworte ich ihm lapidar: „von der Erde"“.
Als er dies hört, fängt er gleich zu lachen an ... und ich dann auch. Minuten später sitze ich in seinem Truck und gemeinsam fahren wir weiter. Fred Jacobson heißt der Mann, Ich hatte die günstige Gelegenheit genutzt und ihn gefragt, ob er mir einen Lift nach Tuk gibt. Klar, hat er gesagt, und schon wenig später hatten wir mein Ei und das Fahrrad auf seinen Truck gehievt und sind losgefahren.
Fred ist ein Inuvaluit und in Tuk geboren. „Ich war schon immer hier und möchte auch nicht weg von Tuk“, erzählt er. „Hast du Hunger?! Da bedien dich!" Fred deutet auf eine große Pappschachtel einer bekannten Fast-Food-Kette, aus der es angenehm nach Hähnchenfleisch riecht. Fred bemerkt meine Zurückhaltung und wiederholt sein sehr verlockendes Angebot. Das lasse ich mir dann auch kein drittes Mal sagen, öffne die Schachtel und schlage zu ...
Freds Fahrstil deutet sehr schnell darauf hin, dass er die Strecke aus dem sogenannten FF kennt und ich muss mich festhalten, während wir über die tiefen Schlaglöcher und Pfützen in Richtung Tuk fliegen. „Ich habe die Straße mit gebaut und bin seitdem mehrmals in der Woche auf ihr unterwegs", schmunzelt er und drückt weiter auf's Gas ...
Fred arbeitet, wenn ich das richtig verstanden habe, für ein Bauunternehmen als Kurier und fährt seit der Fertigstellung der Schotterstraße zwischen Tuk und Inuvik ständig hin und her ... Wir erreichen Tuktojaktuk. Fred steuert zunächst ins Industriegebiet, das vor dem Ort liegt und im direkten Vergleich riesig dazu erscheint. Überall stehen große Gebäude, die als Unterkünfte für die Arbeiter dienten und mit Fertigstellung des Highway 10 nutzlos vor sich hin marodieren. Investoren hatten sich die wirtschaftliche Entwicklung Tuk's scheinbar anders vorgestellt.
Eine Stunde später stehe ich auf der Shoreline von Tuk und schaue auf das Meer hinaus.Ich beobachte die Wellen, wie sie im unruhigen Rhytmus stetig gegen das felsige Ufer klatschen und ich spüre mehr und mehr, wie der aufkommende Wind mich zurückdrängen will. Gleich ein paar Meter neben mir, angelehnt am Arctic Circle Sign, stehen mein Fahrrad und das Ei. Der Himmel ist trübe und es liegt Regen in der Luft. Für Tuktojaktuk ein ganz normaler Gutwettertag.
Es ist ein seltsam komisches Gefühl, hier nun so herum zu stehen. So unspektakulär nach fast fünf Monaten und mehr als 8.000 Kiliometern mit dem Fahrrad quer durch Nordamerika nun hier das Ziel erreicht zu haben ...
In Tuk hat man durchaus das Gefühl ans Ende der Welt gekommen zu sein, denn viel los ist hier nicht!
Ich wende mich ab vom Ozean und schaue auf die „Our Lady of Lourdes“ ein uraltes Holzschiff, das wohl schon ewig hier auf Trockendock steht. Dahinter ist die alte Kirche und gegenüber in einem ebenso alten Haus wohnt Sister Fay, die Pfarrerin von Tuk. Fred hatte mich zu ihr gebracht und um Herberge für mich gebeten. Daraufhin habe ich von der lieben Sister Fay die Schlüssel und die Erlaubnis bekommen, im alten „Fathers House“, das gleich hinter ihrem steht, zu nächtigen.Wieder ein Glückstreffer!
Das alte Haus hat zwar weder Toilette noch einen Wasseranschluss, dafür aber einen alten Gussofen und genügend Brennholz ist auch vorhanden. Schlafen muss ich auf dem Boden und so baue ich mein Nachtlager inmitten Unmengen gespendeter Kleidungsstücke, Spielzeuge, Büchern und allerhand anderen Krimskrams auf.
Am nächsten Tag besuche ich das Government von Tuk. Die Mitarbeiter sind zunächst erstaunt über meinen Auftritt mit dem bunten Ei, jedoch stoße ich auch hier auf großes Interesse für mein Projekt und erhalte eine weitere Botschaft. Dann telefoniere ich mit dem Mayor, Mr.Erwin Elias, dem Bürgermeister der Stadt.
Sofort bietet er an, mich am Father's House abzuholen. Als er ankommt bedarf es keiner großen Erklärung mehr. Erwin Elias hat längst mitbekommen, worum es mir bei meinem Projekt geht und Erwin Elias hat auch direkt die passende Botschaft parat.
Begeistert erzählt er mir vom Besuch des Deutschen Bundespräsidenten Franke-Walter Steinmeier im vorletzten Jahr und das Tuktojaktuk erst kürzlich mit einem Teil der Baumaßnahmen zur Befestigung der Shoreline fertig geworden ist.
Dieses Projekt war notwendig geworden weil der zunehmende Anstieg des Meeresspiegel große Teile der Uferbefestigung und auch ganze Häuser einfach weggerissen hatte. „Die Regierung hat schon etwa 60 Millionen US Dollar in den Schutz der Shoreline investiert. aber weitere Maßnahmen sind erforderlich, sonst wird es Tuktojaktuk in 30 Jahren vielleicht schon nicht mehr geben", so Erwin Elias.
Heute ist der 17. September: Ich sitze am Tisch meiner Cabin am Little Atlin Lake und schreibe an meinem Bericht für die Presse. Fred Jacobson hatte mich einen Tag nach meinem Treffen mit Erwin Elias wieder mit nach Inuvik genommen und von dort bin ich Tage später nach Whitehorse geflogen, um mich mit Markus, einem Fahrrad-Kollegen aus der Schweiz zu treffen. Mit ihm zusammen habe ich dann ein paar Tage an seiner Cabin gearbeitet und die Veranda erneuert. Heute ist es soweit und ich verlasse das wunderschöne Secret Valley, um eine weitere Tour nach Atlin in Britisch Columbia zu den „Taku River Tlingit First Nation“ zu unternehmen.
Bevor es am 4. Oktober wieder zurück nach Deutschland geht, freue ich sehr darauf, jetzt noch einmal los zuziehen, denn ich habe das Gefühl, dass mein Projekt „People Get Ready“ hier noch nicht beendet ist. Abgesehen davon muss ich die 17 Tage bis zu meiner Abreise von Whitehorse irgendwie überbrücken. Das wird im Zelt sicherlich nicht einfach werden, denn der Indian Summer verabschiedet sich bald und der erste Schnee liegt in der Luft ...
Was ich in den Wochen bis zu meiner Heimkehr noch so alles erlebe, davon erzähle ich Euch gerne in einer weiteren Ausgabe des Erft-Kurier.
Herzlichst
Klaus Lüttgen