„Viel sensibler beim Thema Klimaschutz werden“ Bürgermeister Harald Zillikens im großen Interview

Jüchen · Komplett in Jüchen verwurzelt – das ist Bürgermeister Harald Zillikens. Etwas in seiner Heimatstadt zu tun und zu bewegen, liegt ihm daher schon immer am Herzen. Im Interview mit dem Top-Kurier hat er verraten, was seine Heimat für ihn ausmacht, er blickt zurück, was in der Vergangenheit bewegt wurde, und was in Zukunft auf die Stadt wartet.

Seit bald 14 Jahren ist Harald Zillikens Bürgermeister der Stadt Jüchen.

Seit bald 14 Jahren ist Harald Zillikens Bürgermeister der Stadt Jüchen.

Foto: Kurier Verlag GmbH/Daniela Furth

Kurz auf den Punkt gebracht: Was macht die Stadt Jüchen für Sie aus?

Ich bin davon überzeugt, dass Jüchen eine lebenswerte kleine Stadt ist und dass wir mit Blick auf die künftig rekultivierten Flächen auch noch viel Potenzial haben, das Wohnumfeld, leben und arbeiten, zu gestalten. Wir haben eine gute Zukunftsperspektive.

Jüchen ist von Kindesbeinen an Ihre Heimat. Wenn Sie einmal zurückblicken, gibt es Ereignisse oder Entwicklungen, an die Sie sich besonders erinnern?

Ich kenne noch die Gemeinde Hochneukirch. Ich bin 1959 geboren und Mitte der 70er Jahre hat man das Zusammenführen der einzelnen alten Gemeinden schon aufmerksam verfolgt. Gerade aus Sicht von Hochneukirch war das damals schwierig, immerhin war es die größere Ortschaft. Das ist jetzt 47 Jahre her, aber die Eigen- und Besonderheiten der einzelnen Stadtteile sind ja bis heute noch da. Und das ist auch gut so. Alle sind ganz unterschiedlich geprägt.

Diese Vielfalt ist auch das, was Jüchen ausmacht.

Auf jeden Fall. Wir haben zum Beispiel Ortschaften mit Bruderschaften, wir haben andere Ortschaften mit Schützenvereinen und welche, wo es weder noch gibt. Die Konfession spielt eine Rolle, aber auch vieles mehr.

Ich freue mich immer, wenn ich sehe, wie viele Jüchener sich engagieren. Ob es bei der Feuerwehr, im Sport oder soziales Engagement ist, mit Verein oder ohne, es gibt unglaublich viele engagierte Leute, vor denen ich höchsten Respekt habe, was sie in ihrer Freizeit leisten. Ich wünsche mir, dass das erhalten bleibt.

Seit gut 14 Jahren sind Sie nun schon Bürgermeister der Stadt, damals noch Gemeinde, Jüchen. Was hat Sie dazu bewogen, sich 2009 zur Wahl zu stellen?

Ich habe nie geplant, Bürgermeister zu werden. Aber diese Entscheidung, mein Lebensbeamtentum aufzugeben und hier einzusteigen mit einer ganz neuen Aufgabe, habe ich nie bereut. Ganz im Gegenteil. Das Amt macht mir bis heute unglaublich Spaß, weil es vielfältig ist und weil man für die eigene Heimatstadt etwas tun und bewegen kann.

Was wurde zum Beispiel bewegt?

Wir haben in den vergangenen Jahren unter anderem in der Infrastruktur sehr viel getan, dazu zählen Sportstätten, nicht nur Neubauten, sondern auch nachhaltige Sanierungen, insbesondere aber auch die Sanierungen von Schulgebäuden und Neubauten von Kindergärten.

Es sind obendrein neue Wohnquartiere entstanden. Die Stadt Jüchen ist attraktiv, viele wollen hier wohnen. Daher ist die Beschaffung von bezahlbarem Wohnraum bedeutend. Mit der Gründung der „Jüchener Wohnen eG“ ist ein weiterer kleiner, aber wichtiger Schritt vor Kurzem getan worden.

Ein bedeutender Punkt für die Jüchener Geschichte war auch die Stadtwerdung zum 1. Januar 2019.

Die Stadtwerdung ist aus meiner Sicht ein logischer Schritt gewesen, den ich nach wie vor für richtig und wichtig halte. Weil wir die 25.000 Einwohner nicht erreicht hatten, mussten wir einen Antrag stellen, um „Mittlere kreisangehörige Stadt“ zu werden. Gut ein Jahr lang dauerte es vom Beschluss des Rates über den Gesprächen mit dem Kreis, welche Aufgaben wir übernehmen können, den Genehmigungen der Bezirksregierung bis hin zur Verordnung durch Heimatministerin Ina Scharrenbach. Wir haben den Schritt ganz bewusst gemacht. Man verändert dadurch die Identität der Ortsteile nicht, aber das Selbstverständnis, das Auftreten als Stadt, sind etwas anderes als bei einer Gemeinde. Das hat auch etwas mit Selbstbewusstsein zu tun.

Hat sich etwas seit der Stadtwerdung verändert?

Neben der Übernahme von Aufgaben, wie der Bauaufsicht auch der Marketingeffekt und die Wahrnehmung von außen. Wir sind mit anderen Städten auf Augenhöhe. Wichtig ist mir auch, dass ich die Interessen unserer Stadt in unterschiedlichen Gremien vertreten kann. Ob das zum Beispiel der Braunkohleausschuss oder das Präsidium des Städte- und Gemeindebunds ist. Es ist wichtig, beteiligt zu sein und nicht nur von Entscheidungen zu hören. Um die Interessen der Stadt Jüchen zu vertreten, müssen wir selber aktiv sein.

Außerdem haben wir seitdem ein gescheites Goldenes Buch der Stadt. (lacht)

Ist Ihnen jemand, der sich darin eingetragen hat, besonders in Erinnerung geblieben?

Einer der ersten war Julius Weckauf zusammen mit Hape Kerkeling. Wir haben die beiden zum Kaffeetrinken in Schloss Dyck eingeladen, wir wollten eine Stunde bleiben, aber es sind fast fünf daraus geworden. (lacht)

Werfen wir einmal einen Blick in die Zukunft: Was wünschen Sie sich für die Stadt Jüchen?

Ich erhoffe mir, dass wir alle noch viel sensibler beim Thema Klimaschutz werden und erkennen, dass wir alle mehr tun müssen. Wir sind ländlich geprägt, das Auto wird immer eine wichtige Rolle spielen, aber andere Verkehrsmittel müssten eine größere Rolle spielen. Da ist noch viel Luft nach oben.

Ich fahre selber, so oft es geht, mit dem Fahrrad. Denn man soll nicht immer von anderen verlangen, etwas zu tun, sondern es auch selber machen. Daher haben wir auch im Rathaus viel für die Nachhaltigkeit getan und zum Beispiel Photovoltaikanlagen installiert. Ich würde gerne noch viel mehr machen, wenn der finanzielle Spielraum größer wäre.

Ansonsten würde ich mir wünschen, dass sich in den Innenstädten von Hochneukirch und Jüchen etwas mehr Gastronomie ansiedelt, um die Aufenthaltsqualität zu erhöhen. Die Rahmenbedingungen haben wir schon geschaffen.

Ein wichtiger Aspekt in den nächsten Jahren wird auch die Gestaltung der Tagebaufolgelandschaft sein.

Viele Jahrzehnte ist Jüchen ziemlich umgegraben worden, im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt kaum eine Stadt in Deutschland, die solch gravierende Veränderungen hat hinnehmen müssen. Das verändert das ganze Stadtbild und hat natürlich auch Einfluss auf die Stadtentwicklung. Jetzt erwarten wir vom Land endlich eine deutlich bessere Unterstützung, wenn es um die Rekultivierung und Gestaltung der Tagebaufolgelandschaft geht.

Und in diesem Rahmen ist auch Solidarität von anderen Städten und Gemeinden gefordert, um die Tagebaufolgen zu beseitigen. Die aktuelle Diskussion und der Protest in Dormagen um den Bau der Rheinwassertransportleitung in Richtung Tagebau macht mich wütend. Da profitiert eine Stadt mit ihrer Chemieindustrie Jahrzehnte vom günstigen Strom aus der Braunkohle und jetzt geht es um ein kleines Stück Solidarität, dann stellen sich Bürgermeister und Stadtrat dagegen. Das ist ein Umstand, den wir uns nicht gefallen lassen werden.

Konzepte für die Tagebaufolgelandschaft werden von mehreren Akteuren wie den angrenzenden Städten und Gemeinden unter dem Dach des Zweckverbands Landfolge Garzweiler gebündelt, dessen stellvertretender Vorsteher Sie sind. Welche Projekte sind speziell für die Stadt Jüchen im Rahmen des Strukturwandels wichtig?

Für Jüchen ist von besonderer Bedeutung Jüchen-Süd sowie die Entwicklung rund um den Bahnhof mit der S-Bahnanbindung. Letztlich dreht sich viel um die Gestaltung des Stadtgebiets südlich der A46. Auf den Punkt gebracht: arbeiten und wohnen. Wie auch immer diese Formen aussehen, daran arbeiten wir zurzeit mit Bürgerbeteiligung und Politik.

Das so genannte „Grüne Band“, aber auch die Internationale Gartenausstellung 2037 sind ebenfalls wesentliche Projekte für die Zukunft.

Die Planung und Gestaltung der Tagebaulandschaft wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Wenn Sie sich jetzt etwas wünschen dürften, was wäre das?

Ich würde mir wünschen, dass eine Landschaft mit einem guten Mix zwischen Landwirtschaft, Erholung, Wohnen und Arbeiten entsteht. Jeder wird irgendwo Abstriche machen müssen, es kann zum Beispiel nicht nur Landwirtschaft geben oder alles bebaut werden. Aber wir entwickeln, wie ich finde, gerade hochspannende Ansätze.

Durch den vorgezogenen Braunkohleausstieg wird der Restsee mit seinem Ostufer fast vollständig auf Jüchener Gebiet liegen. Die Erschließung und Etablierung von Naherholung werden eine deutliche Rolle spielen. Denn wer hat schon einen See in dieser Größe und mit dieser Tiefe vor der Haustür?

Das werde ich nicht mehr erleben, aber es geht jetzt darum, die Grundzüge festzulegen und das mitzugestalten. Das finde ich ein unglaublich spannendes Thema und dafür bringe ich gerne extrem viel Zeit auf.

 Vielen Dank für das Gespräch Herr Zillikens!

Das Interview führte Daniela Furth.

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