Junger Historiker forschte zum jüdischen Friedhof Wevelinghoven Ein Akt der besonderen „Gastfreundschaft“

Wevelinghoven · Amir Abdel Ghany, frischer „Bachelor“ der Politikwissenschaften und der Geschichte, erforschte im Rahmen seines Praktikums im „Museum der Niederrheinischen Seele“ auch die Geschichte der jüdischen Friedhöfe in Grevenbroich. Dabei half ihm die Tatsache, dass in der gesamten Schloss-Stadt das Bewusstsein für Heimat und Historie groß sei. „Wir sprechen von ,public history‘. Und die ist hier gut ausgeprägt“, betont er. Der Geschichtsverein, der Kreis „Gegen das Vergessen“, Cornelia Schulte, Ulrich Herlitz seien nur einige der Garanten dafür.

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Foto: KV./Ulrich Herlitz/Gerhard P. Müller/Ulrich Herlitz

Die Geschichte der Juden in Wevelinghoven beginnt zwar 1096, als vor dem „Kölner Pogrom“ Geflüchtete an der Erft landen. Doch auch hier werden sie Opfer von blutrünstigen Verfolgungsjagden, von ihren Verfolgern aus der Nachbarstadt gefunden und bleiben von weiteren Pogromen nicht verschont, so dass sie nicht lange in der heutigen Gartenstadt bleiben.

Erst im 17. Jahrhundert wird wieder jüdischen Leben in Wevelinghoven sichtbar. „Die Familie Lazarus war eine der ersten, die damals wieder an die Erft zogen“, weiß Ghany zu berichten. Das ist bekannt, weil das Familienoberhaupt vor dem damaligen Vogt von Hülchrath geklagt hat. Es ging um unrechtmäßige Verhaftungen durch den Wevelinghovener Wachtmeister. Weitere Klagen sind zu finden.

Amir Abdel Ghany erzählt über den jüdischen Friedhof.

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Mitte des 19. Jahrhunderts (genauer 1843) wurden 82 jüdische Einwohner in Wevelinghoven vermerkt, laut Amir Abdel Ghany der „Höhepunkt der jüdischen Population“. In dieser Phase gab es auch einen ersten, den „alten“ jüdischen Friedhof, der wohl schon vor 1800 angelegt worden war. Er muss sich den Unterlagen nach an der Oberstraße, hinter der Hausnummer drei, befunden haben. Als dieser Friedhof belegt war, wurde der „neue“ jüdische Friedhof am Zehnthof in Richtung Widdeshoven angelegt, wo er noch heute zu finden ist. In den 1920er Jahren wurden die Grabsteine wohl auch von der Oberstraße dorthin verbracht … und der alte verschwand somit aus dem Bewusstsein und aus dem Blickfeld.

Genau 39 Grabsteine sind aktuell erhalten, 31 davon sind anhand der Inschriften zu erkennen. Hinzukommt ein Gedenkstein, der an die Kinder und Jugendlichen erinnern soll, die der NS-Zeit zum Opfer gefallen sind. Ghany: „Dort findet sich – entgegen der Aufzeichnungen der Stadt – ein Zitat von Nelly Sachs als Aufschrift.“

Dieser Gedenkstein soll an die Kinder und Jugendlichen erinnern, die dem NS-Regime zum Opfer gefallen sind.

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Führende Namen waren in dieser Zeit vor allem die Familien Katz und Vosen, deren Geschichte dank der „public history“ gut erforscht und belegt sind.

Im Jahre 1788 entstand eine Synagoge „An der Burgstraße“. Belegt ist zudem, dass 1818 Ludwig Marx der Vorsteher der Wevelinghovener Gemeinschaft war. Ghany: „Irgendwann konnte die Synagoge aber nicht mehr gehalten werden, weil die jüdische Gemeinde in Wevelinghoven zu klein geworden war.“ Am Ende waren es zehn, 15 Juden, die noch in der Gartenstadt lebten. 1921 wurde das Haus versteigert; letzter Gemeindevorsteher war Josef Katz.

Hier sind bedächtige Besucher willkommen.

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Übrigens sind die Gründe des Rückgangs des jüdischen Lebens in Wevelinghoven recht unklar. „In anderen Stadtteilen gibt es bessere Unterlagen und Quellen“, merkt der junge Historiker an. Auf der anderen Seite galt Wevelinghoven damals schon (wegen seiner Bi-Konfessionalität) als relativ fortschrittlich. Evangelische Christen fanden in Grevenbroich zum Beispiel keine Möglichkeit, ihren Glauben zu leben. Sie mussten zum Gottesdient nach Wevelinghoven kommen. Das änderte sich erst, als „Erckens Kapelle“ gebaut wurde.

Amir Abdel Ghany hat noch ein anderes Beispiel für eine gewisse Offenheit: Während des 1. Weltkriegs verstarb ein russischer Kriegsgefangener in Wevelinghoven. Er gehörte dem muslimischen Glauben an („Wahrscheinlich ein Moslem aus dem Kaukasus.“) und so drängte sich die Frage auf, ob, wie und wo er beerdigt werden sollte. 1918 wurde er dann auf dem jüdischen Friedhof bestattet, was wir heute noch wissen, weil damals eine Akte über die Kostenerstattung angelegt wurde.

Ein besonderer Akt der „Gastfreundschaft“, weil der Friedhof bei den Juden als „heiliger Platz“, als „reiner Ort“ gilt, wo besonders strenge Gesetze einzuhalten sind. Keine Gräber, keine Blumen finden sich an diesem Ort. Nur Steine und Erde. Dort darf zum Beispiel der Boden nur aus kultischen Zwecken umgegraben werden. „Deshalb war es für die Juden aus dem Süden der Stadt ja auch so tragisch, dass ihr Gustorfer Friedhof zwar den ersten und den zweiten Weltkrieg recht schadlos überstanden hat, dann aber für Braunkohle zumindest teilweise abgebaggert wurde“, so der Historiker, der aktuell wissenschaftlicher Mitarbeiter von MdB Daniel Rinkert ist.

Bis 1932 wurde der jüdische Friedhof in Wevelinghoven, umgeben von einer kaum hüfthohen Mauer, noch genutzt. In der Nachkriegszeit gab es noch einige Beschwerden über das Verhalten einiger Menschen dort, seit 1990 steht er unter Denkmalschutz.

„Den Friedhof darf jeder besuchen. Und es lohnt sich, eine Stadtrundfahrt von Friedhof zu Friedhof zu machen. Man muss sich nur an die Regel anhalten: angemessene Kleidung und angemessenes Auftreten. Und die Männer müssen eine Kopfbedeckung tragen“, wirbt der junge Wissenschaftler.