Das Wohl des Vereins steht immer im Vordergrund Der Präsidenten-Wechsel bei den Jüchener Schützen steht an

Jüchen · Sonntagmorgen, 6 Uhr. Während sich der Rest des Dorfes noch einmal beruhigt umdreht und den freien Tag langsam anlaufen lässt, sitzt Thomas Lindgens schon in seinem Arbeitszimmer am Computer. „Die beste Zeit für die Entwicklung neuer Ideen und Konzepte!“ Diese Leidenschaft hat Lindgens in den vergangenen zehn Jahren immer wieder getrieben. In dieser Zeit war der 54-jährige Vertriebsmanager Präsident des Jüchener Bürgerschützen- und Heimatvereins 1880 (BSHV) – und stand damit an der Spitze einer Gruppierung, die sich sehr stark der Tradition verbunden weiß.

Thomas Lindgens tritt bei der kommenden Generalversammlung nicht mehr als Präsident des BSHV Jüchen an.

Foto: BSHV Jüchen

„Trotzdem muss man auch das Schützenwesen auf dem Dorf immer wieder neu erfinden, wenn es überleben soll,“ ist sich Lindgens sicher. Denn wenn aus Disziplin pure Routine wird, sei es um die Zukunft eines lebendigen Vereins nie gut bestellt.

Dass in einem 145 Jahre alten Traditionsverein bei Weitem nicht alles Routine und gewohnter Ablauf ist, musste Thomas Lindgens ab dem Frühjahr 2020 mit dem Ausbruch der Corona-Krise erfahren. „Da stand der ganze Verein auf dem Spiel – und wir mussten kreative Ideen produzieren, um die Menschen bei der Stange zu halten.“ Das reichte von „Care-Paketen“ für das ausgefallene Schützenfest im Mai 2020 über Schulbesuche des amtierenden Königspaares Hans-Reiner und Helga Jagdfeld mit einer Riesen-Kiste Lebkuchenherzen bis hin zur Produktion von Podcasts.

„Informationen in allen möglichen Formen zu verbreiten, war fast das Wichtigste in dieser Zeit. Den Schützen, aber auch den Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu sagen: Ihr seid nicht allein – und der Schützenverein lässt euch nicht allein. Und der BSHV ist weiterhin eine lebendige Institution über alle Generationen für das Dorf und die ganze Stadt.“ Das erfordert vor allem auch Weitblick. „Wir dürfen da nicht immer nur auf den nächsten Termin im Jahreskalender schielen – sondern müssen teils Jahre im Voraus planen.“

Und man dürfe sich nicht selbst in den Mittelpunkt stellen. „Das ist das Problem eines Präsidenten-Amtes: Da steht keiner mehr über oder hinter dir, der dich lenkt und leitet. Da musst du Entscheidungen treffen. Manchmal auch unangenehme, die im ersten Augenblick nicht von allen verstanden werden.“ Seine Leitlinie sei immer gewesen: „Entscheidungen triffst du nicht, um den meisten Applaus zu kassieren, sondern immer für das Wohl des Vereins und der Menschen.“

Trotzdem fühlte sich Thomas Lindgens nie einsam in seinem Amt: „Da gibt es mit dem Vorstand ein starkes Team, das richtig ackert und mit sehr hoher Professionalität den Verein leitet. Und da hatte ich immer Menschen, mit denen ich auch in den schwierigsten Situationen vertrauensvoll zusammenarbeiten, auf die ich rund um die Uhr zählen konnte.“ Das erfülle ihn nun, nach zehn Präsidenten- und 16 Vorstandsjahren mit großer Dankbarkeit und auch mit Demut. Und auch sein Abschied aus dem Amt ist geplant: „Ich hätte ja auch wieder antreten können. Aber in fünf Jahren steht der BSHV Jüchen vor seinem großen 150-jährigen Bestehen. Mein Nachfolger würde dann ein Jahr vorher gewählt – das könnte sehr schwierig werden…“ Außerdem: Ein Ehrenamt sei immer ein Amt auf Zeit. „Die Zeiten mit Spitzen-Funktionsträgern über teils mehr als drei Jahrzehnte sind einfach vorbei.“ Das sei im Schützenverein nicht anders als auch sonst in der Gesellschaft.

Jens Jagdfeld, Vize-Präsident BSHV Jüchen, wird sich zur Wahl für das Präsidentenamt stellen. Foto: BSHV Jüchen

Foto: BSHV Jüchen

Und nun? Was macht Thomas Lindgens nach seiner Präsidentenzeit? „Auch ich habe mich weiterentwickelt“, gesteht er lachend. Eine neu entdeckte Leidenschaft sei der Besuch klassischer Konzerte und vor allem von Opern. Auch Kunstausstellungen besucht er gerne mit seiner Frau Anke. „Und natürlich das Reisen. Das aber nicht, um irgendwo auf der Welt an einem schönen Strand zu liegen, sondern um Neues kennenzulernen, in fremde Kulturen einzutauchen, den Horizont zu erweitern.“ Dazu komme noch ein Mandat im Jüchener Stadtrat, das er für seinen Wohnort Otzenrath wahrnehme. „Ansonsten werde ich mich in der nächsten Zeit eher zurückziehen. Denn irgendwie habe ich im letzten Jahrzehnt genug Festzelte und Veranstaltungen rund um das Schützenwesen besucht…“

Gab es „den“ Höhepunkt für ihn als BSHV-Präsident? „Ja, jedes Jahr zweimal. Und das treibt mir immer noch die Gänsehaut und sorgt bisweilen auch für feuchte Augen: Der Aufzug der großen Blumen- und Musikparade zu den Schützenfesten auf dem Jüchener Marktplatz.“ Diese Bilder werde ich nie vergessen.

Thomas Lindgens wird, so ist es geplant, sein Amt am Freitag, 24. Oktober, im Rahmen der turnusgemäßen, außerordentlichen Generalversammlung des BSHV Jüchen an Jens Jagdfeld, den bisherigen Vize-Präsidenten weitergeben. Jagdfeld stellt sich an diesem Tag zur Wahl und wird aller Voraussicht nach das Amt auch übernehmen. Der 33-jährige, selbstständige Reiseveranstalter geht dieser neuen Aufgabe mit Respekt entgegen. „Ich habe ja schon einige Jahre Erfahrung als Vize-Präsident und ich übernehme ein sehr gut aufgestelltes Erbe.“

Mit der ihm eigenen Ruhe wird Jagdfeld die verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen. Das schätzt auch der scheidende Präsident Thomas Lindgens an ihm: „Das musst du einfach mitbringen, denn die Leute, vor denen du stehst, erwarten das einfach, dass du weißt, was zu tun ist und sie entsprechend an die Hand nimmst und vorangehst. Das ist das Vertrauen, das dir die Menschen entgegenbringen.“ Und Jens Jagdfeld hat eine Vision von seiner Tätigkeit an der Spitze des BSHV: „Den Verein möchte ich nicht schlechter hinterlassen, als ich ihn übernommen habe.“